Kuba


"Kuba, ach Kuba!"

 

von Jörg Schwarz

 

„Noch einmal nach Kuba, bevor sich alles ändert!“ - Keine Ahnung, wie oft wir das gehört haben, im Vorfeld unserer Reise… Und ging es uns nicht selber so? Wollten wir nicht auch nochmal ein Stück dieses anachronistischen und doch so stolzen socialismo cubano erheischen, ehe die Geschichte das Kuba Fidel Castros von der Bildfläche wischt…? Haben wir nicht nach den museumsreifen Autos vergangener Tage gesucht? Nach den verschlafenen, aus der Zeit gefallenen Kolonialstädtchen und dem quicklebendigen Lebensstil der Kubaner, welcher musikaffin und lebensfroh dem tristen sozialistischen Alltag trotzt und uns mit seiner Ausgelassenheit gleichwohl ansteckt, obwohl das Land derweil dahinbröckelt? Wollten wir nicht auch die Illusion retten, dass unter diesen Umständen - oder gerade wegen dieser Umstände - ein glückliches Leben auf Kuba trotzdem möglich ist?

 

Doch – genau das wollten wir! Wir haben es auch gefunden … und .... irgendwie doch nicht!

Ach, Kuba…!

 

Capitolio Nacional, Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Capitolio Nacional, Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Wir stehen mal wieder in der Schlange und warten. Es ist der Busbahnhof in Cienfuegos, im Süden des Inselstaates, es ist unglaublich heiß… Der warme Luftstrahl des Deckenventilators in der Halle erreicht uns leider nur ab und an und dann auch viel zu schwach. Mein Hemd ist bereits – noch vor der Reise – unangenehm naßgeschwitzt, gern würde ich jetzt irgendwo ins Meer springen… Doch nun, Konzentration, es kommt Bewegung in die Angelegenheit! Es rumort plötzlich an der Tür zum Ticketschalter der staatlichen Busgesellschaft Viazul. Touristen aus aller Herren Länder springen von ihren Koffern und Rucksäcken auf und bringen sich in Stellung. Die Menge drängt nach vorn, ein einziges Schieben und Belauern. In dem kleinen Büro, in dem zwei Angestellte sichtbar lustlos ihren Dienst verrichten, bleibt alles gelassen. Jetzt ein Ruf des Offiziellen in die Menge. Ich verstehe gar nichts. In der Touristenschar aber verbreitet sich Unruhe…

 

Noch nach 20 Jahren staune ich immer wieder, wie es Magdalena in solchen unüberschaubaren, unangenehmen Situationen stets gelingt, sich aus der unvorteilhaftesten Position so in Stellung zu bringen, wie sie es jetzt tut… Schon steht sie fast ganz vorn und wird auf die Frage des Viazul-Angestellten hin nun gar als Zweite in das Zimmer vorgelassen. Es bewährt sich jetzt, dass wir Tickets bereits gestern ergattert hatten... Ich sehe in all die anderen enttäuschten und fassungslosen Gesichter und kann einen kleinen, geborgten Stolz nicht unterdrücken. Wo hat sie das bloß gelernt, in solchen Situationen so reaktionsschnell, pragmatisch und erfolgreich zu sein? Kindheitslehre im sozialistischen Polen? Wo sonst kann man diese ‚Warteschlangenkompetenz‘ erwerben, die man, als Reisender, jenseits des geordneten Deutschland doch nun mal einfach braucht? Mir als bravem Westdeutschem jedenfalls geht das irgendwie ab und ich wäre an diesem Tag sicher nicht mehr in den Bus gekommen… Nach einiger Zeit kommt sie dagegen strahlend aus der Traube der Wartenden heraus, hat zwei der letzten Plätze im vollen Bus ergattert und scheint dabei nicht mal zu schwitzen. Mir dagegen läuft die Suppe – vom Warten allein – weiter in Strömen den Rücken herunter...

 

Eine Stunde bevor es los geht: Fahrkartenschalter am Busbahnhof in Cienfuegos, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Eine Stunde bevor es los geht: Fahrkartenschalter am Busbahnhof in Cienfuegos, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Das prachtvolle Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Das prachtvolle Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Staatliche Busgesellschaft Viazul - Halt auf offener Strecke Richtung Vinales, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Staatliche Busgesellschaft Viazul - Halt auf offener Strecke Richtung Vinales, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Zugang zur Plaza Vieja, Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Zugang zur Plaza Vieja, Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Wir sind schon mehr als zwei Wochen auf Kuba unterwegs, haben das phantastische Havanna zu Fuß erkundet und im Oldtimer bestaunt. Im von Karstfelsen durchzogenen Valle de Viñales sind wir gewandert und Fahrrad gefahren, haben den Bauern bei der Feldarbeit und Tabakproduktion zugesehen und uns angesichts der zunehmenden hiesigen Nichtraucherrealität über den kubanischen Zigarrenkult gewundert: Clash der Kulturen auch auf diesem Sektor! Wir haben – wie könnte es auf Kuba anders sein – ein paar herrliche karibische Tage auf den Cayos Jutias und Levisa verbracht und zuletzt in dem mit französischer Kolonialarchitektur reich gesegneten Cienfuegos Sylvester gefeiert. Unsere Erwartungen haben sich voll erfüllt, wir erleben ein herrliches tropisches Land, das mit reichlich Sehenswürdigkeiten gesegnet, arm und reich zugleich, widersprüchlich und manchmal hahnebüchen, dafür aber auch unheimlich liebenswert ist.

 

Kuba ist – wie erwartet – einerseits authentischer als man mag: Das betrifft dann beispielsweise die Schlaglöcher auf manch abgelegener Provinzstraße oder die sozialistische Bürokratie, die einem mehr als einmal lange Warteschlangen beschert. Andererseits bietet es das erwartete Klischee im Übermaß: Neben all den Plakaten und Symbolen einer weitgehend überholten Revolutionsgeschichte samt ihrer Helden sowie den überstrapazierten Bésame mucho- und Comandante Che Guevarra-Songs an jeder Ecke und in jedem Restaurant auf Kuba, sind für uns manchmal auch die unzähligen Hemingway-Anekdoten einfach zu viel des Guten…

 

Karstfelsenlandschaft und Tabakanbaufläche, Valle de Vinales, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Karstfelsenlandschaft und Tabakanbaufläche, Valle de Vinales, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Cayo Jutias, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Cayo Jutias, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Mit dem Fahrrad zu den Tabakplantagen im Valle de Vinales, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Mit dem Fahrrad zu den Tabakplantagen im Valle de Vinales, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Cayo Levisa, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Cayo Levisa, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Klasse, dass immer wieder sehr schnell klar ist, warum es gleichwohl gut und richtig ist, auf Kuba zu sein: Es gibt eben Städte wie Trinidad – unser heutiges Reiseziel. Nachdem mithilfe meiner kleinen Taschenlampe auch die defekte Sicherung an der Klimaanlage im Viazul-Bus ausgetauscht wurde, sind wir nun – mit einer guten Stunde Verspätung – in der wunderschönen, verschlafen wirkenden Kolonialstadt eingetroffen... Trinidad hat – das ist uns nach wenigen Minuten klar – nach wie vor das Flair eines vergangenen Jahrhunderts. Wie aus einem Bilderbuch wirken ihre gut restaurierten Fassaden, als seien die Uhren hier zur Zeit der Zuckerrohrbarone einfach stehen geblieben. Die Stadt versetzt uns also gleich in pure Freude: Grobes Kopfsteinpflaster, bunte Kolonialstilvillen und -straßenzüge, alte pittoreske Holzbalkone und kunstvoll verzierte Gitter vor den Fenstern. Wenn ein klappriger Eselskarren die Strasse entlang fährt, ist die Illusion perfekt. Vor den Toren der Stadt noch der beste Strand der Südküste – ja, das wollten wir sehen auf Kuba!

 

Wir haben weiterhin Glück: Die uns durch Bekannte vermittelte Unterkunft – erneut eine private Pension – ist zwar gegen alle telefonische Vorauskunft ausgebucht, wir werden aber – ohne schlechtes Gewissen und nur mit geringfügiger Verzögerung – an phantastische Gastgeberinnen ‚weitergereicht‘: „Nur ein paar Häuser die Straße hinab, das ist doch O.K., oder?“ Ohne die Antwort abzuwarten, trottet sie, mit Highheels und bester Laune vor uns her: "Ihr könntet uns aufTripadvisor doch gleichwohl ein bisschen loben, nicht...?" Uns erwarten ein modernes Haus, herrliche große Dachterassen ‚nur für Gäste‘ und angenehm neugierige Menschen, die ihr Business gerade erst starten und sich noch wirklich auf und mit uns freuen können. Gut also, das wir hier gelandet sind! Noch ein paar Tipps und dann geht es auch schon los in das Gewirr der Gassen…

 

Iglesia Parroquial de la Santínisma Trinidad, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Iglesia Parroquial de la Santínisma Trinidad, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Blick auf den Convento de San Francisco de Asis, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Blick auf den Convento de San Francisco de Asis, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Straße bei der Plaza Mayor, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Straße bei der Plaza Mayor, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Blick auf die Plaza Mayor in Sonnenuntergangsstimmung, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Blick auf die Plaza Mayor in Sonnenuntergangsstimmung, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Uns begeistert das zugleich geschäftige wie gemächliche Geschehen, das Leben auf der Straße. Der Kubaner an sich – um diese Verallgemeinerungsfloskel endlich mal proaktiv einzubauen – verlagert sich und sein Dasein nunmal gern nach Draußen, für mich, für dich, für alle sichtbar und das macht Spaß: Kinder, die vor den Häusern spielen, ältere Herren, die auf Bänken über Reisende schmunzeln, Bedienstete, die in einer Pause dem Tabak fröhnen und junge Frauen, die im Türeingang mit Lockenwicklern neuesten Tratsch austauschen… Es wird auf der Straße gearbeitet, gegessen, gelebt… Wenn dazu am Abend die Sonne untergeht, tauchen Trinidad und seine Menschen in ein unbeschreibliches Licht... In einer Bar klingt der Abend traumhaft aus, nein – nicht bei Mojito – wir sind Bucaneroes, also Biertrinker… Toll, dieses Kuba!

 

Und doch schleicht sich hier und da – es ist weder das erste, noch das letzte mal auf Kuba – ein Wehrmutstropfen in den Rum des sozialistischen Landes… Eine zweite Realität, die noch verschwommene Vision einer möglichen Zukunft eines postrevolutionären Kuba schiebt sich in rasantem Tempo, wie eine Wolke, über das Land und es ist vielleicht gerade hier in Trinidad, vor der Kulisse dieser historischen Stadt, besonders spürbar. Wir können nicht verhehlen, dass diese Ahnung uns Sorge macht, auch wenn die stolzen Kubaner sich selbst offenbar nichts sehnlicher wünschen, als genau das: Eine neue Vision für Kuba, die gegen alle Geschichte wie Stars ans Stripes anmutet… So haben wir – frei nach Exupéry – die Farbe Kubas für uns gewonnen, als diese sich bereits in eine andere verfärbte…

 

Dominospielchen am Abend, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Dominospielchen am Abend, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Wohin schweift der Blick? In die Zukunft? Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Wohin schweift der Blick? In die Zukunft? Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Am Barrio Los Tres Cruces, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Am Barrio Los Tres Cruces, Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Das Leben ist auf der Straße! Trinidad, Kuba (Foto  Jörg Schwarz)
Das Leben ist auf der Straße! Trinidad, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Wir diskutieren das intensiv mit Alfredo in Camagüey, wohin wir inzwischen per Lada-Taxi weitergereist sind, da der Viazul-Bus tagelang ausgebucht ist. Alfredo sitzt entspannt und lachend vor uns und kriegt sich über seinen eigenen Witz gar nicht mehr ein: „Ich bin halt Kubaner,“ lacht er, eine Träne der Freude läuft bereits – nicht das erste mal heute abend – über seine braune Wange hinab. „Deshalb kriege ich hier kein Glas zum Bier! Ist doch klar, ein Glas kriegen hier nur die Deutschen!“, sagt er. Sein Lachen steckt einfach an. „Ich bin eben ein Mensch zweiter Klasse“, sagt er und lacht erneut. Vor uns auf dem Tisch stehen drei Flaschen eisgekühlte Bucanero aber eben nur zwei Gläser. Und sie stehen vor Magdalena und mir, weil sie der Kellner genau dort plaziert hat. Wir sitzen in einer warmen karibischen Nacht in einer kleinen offenen Eckkneipe und genießen den an sich angenehmen Abend. Was hier gerade passiert, können wir nicht recht einschätzen. War das nun Absicht oder Versehen, Affront oder Vergesslichkeit des Kellners? Macht Alfredo Witze oder ist das seine Art des Protests? Nach einer gewissen Zeit jedenfalls kommt der Kellner mit einem dritten Glas... Alle scheinen zufrieden. Alfredo ist bester Stimmung, von schlechter Laune keine Spur. Wir entspannen uns…

 

Alfredo, hauptberuflich Schachlehrer (!) und ein sehr beredter Gesprächspartner, spricht mit uns glasklares Deutsch. „Ich war fünf Jahre in Deutschland, in Schwerin, als Vertragsarbeiter. Sozialistische Bruderhilfe und so...“ Er schwärmt von seiner Zeit in der „Demokratischen Republik“ und hat – nun eindeutig ironisch und augenzwinkernd – „nur positive Erinnerungen und Erfahrungen“ zu berichten. Mit einer Ausnahme: „Uuhhää – der Winter,“ er schüttelt sich vor unseren Augen und lacht, „ich habe so gefroren! Aber ohne meine Zeit in Deutschland hätte ich wohl niemals Schnee gesehen.“ Er zeigt uns ein Foto von sich im weißen Winter. „Das war eine schöne Zeit, Deutschland hat mir schon sehr gut gefallen, auch wenn wir mit den Deutschen nicht so richtig warm geworden sind. Immer nur Arbeit für den Sozialismus im Kopf, diese Deutschen…“ er verdreht die Augen und lacht uns offen an. „Aber“, wendet er sich Magdalena zu, „ich habe mit ein paar Polen eine echte Freundschaft gehabt, das waren feine Menschen, die hatten in den kalten Tagen immer einen Wodka parat. Und es war oft kalt!“. Natürlich lacht er selbst am lautesten... Tatsächlich scheinen seine Gedanken in der Vergangenheit einer Spur zu folgen, er wird fast ein wenig melancholisch.

 

Iglesia de Nuestra Senora de la Merced, Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Iglesia de Nuestra Senora de la Merced, Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Schulsport auf öffentlichen Plätzen, Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Schulsport auf öffentlichen Plätzen, Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Straßenszenen in Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Straßenszenen in Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Gemüsehändler in Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Gemüsehändler in Camagüey, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Alfredo ist einer derjenigen Kubaner, bei denen wir von anfang an nicht das Gefühl haben, dass sie uns nur ansprechen, weil sie mit uns ein Geschäft machen möchten. Er scheint gerade keiner jener jinéteros zu sein, die uns – beispielsweise in Havanna – nicht selten auf Deutsch angesprochen und auf kreative und wahrhaft meisterhafte Weise in ein Gespräch verwickelt haben, nur um uns gleich aus dem Nichts zu einem „ganz hervorragenden und nicht ganz legalen Zigarrenladen“ zu führen, in welchem – insgeheim – „bester Tabak der Marke Cohiba zu ganz und gar günstigem Preis“ feilgeboten werde. Nein, Alfredo ist ein anderer Fall, da sind wir uns schnell sicher. Er will mit uns reden, ist neugierig auf uns. Kurz: Eine spannende Begegnung.

 

Woher aus Deutschland wir kommen. Wie uns Kuba gefalle, speziell Camagüey, will er wissen, was wir schon gesehen haben, was wir noch vor uns haben und so weiter. Ein wenig ruht unsere Unterhaltung kurz in dem üblichen Smalltalk-Palaver, den Einheimische und Touristen hier und anderswo austauschen. Es ist, als würden wir nach vielversprechendem Start dem eigentlichen Thema des heutigen Abends noch eine Weile eine Verschnaufpause gönnen… Aber natürlich bricht es irgendwann aus ihm heraus, das Thema Nr. 1 dieser Tage auf Kuba und er ist jetzt voll da: Die USA und Kuba nähern sich an! Tauwetter in der Karibik! Die Nachricht ging um die Welt just am Tag unserer Anreise nach Havanna! Sie begleitete uns seither jeden Tag…

 

Ein Signal! Ein Fanal, das die Kubaner – in Camagüey wie anderswo – schier aus der Fassung bringt. Alfredos Augen leuchten, als wir in das Thema einsteigen. „Ganz Kuba freut sich“, sagt er, „wir haben lange darauf gewartet!“ Er ist ergriffen von einer Sehnsucht nach Freiheit, wir sehen Euphorie und Hoffnung – eine Hoffnung, die sich bei jedem Kubaner anders darstellt, jeder hat seinen eigenen Traum... Oft hat er mit dem US-amerikanischen way of life zu tun... Wir verspüren eine Stimmung im Land, die uns tatsächlich aus dem Deutschland der 90er Jahre – Deutschlands sog. Wendejahre – bekannt vorkommt und die hier mit Händen zu greifen ist. Sie hat unsere Gastgeber/-innen in den kleinen casas particulares ergriffen, Rubèn, den Taxifahrer aus Havanna, der sich wie von einer Depression erlöst wähnt, Liliana, die Reinigungskraft unseres Hotels im Westen der Insel, die sich auf die USA und ihre Verwandten freut und all die anderen, die uns auf Kuba begegnet sind – und nun Alfredo: „Das ist eine Riesenchance für Kuba! Das ist einfach nur großartig! Für Kuba beginnt das Leben jetzt neu! Die Wirtschaftssanktionen aus den Zeiten des kalten Krieges werden fallen, endlich können wir unsere Verwandten aus Florida sehen und meine Tochter wird ein besseres Leben haben als ich!“ – „Das goldene Zeitalter!“, denke ich bei mir. Und: „Blühende Landschaften!“ Ich gebe zu: Wir sind total ambivalent…

 

Alte Pferdekutschen an der Playa los Cocos, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Alte Pferdekutschen an der Playa los Cocos, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Die Bucht der Playa los Cocos, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Die Bucht der Playa los Cocos, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

 

Natürlich gönnen wir es Kuba von Herzen! Wir feiern mit den Kubanern! Alfredo hat recht: Es ist eine riesige Chance für das Land. In der lauen Abendluft Camagüeys diskutieren wir das hin und her, sehen Chancen und Risiken, vermuten Freud und Leid. Als ‚ordentliche Deutsche‘ mahnen wir weltbürgerlich zur Vorsicht und weisen darauf hin, dass es nicht nur Gewinner geben wird. Trotzdem stoßen wir erneut darauf an. Viele Male noch an diesem Abend. Dann gehen wir – auf getrennten Wegen, aber im Geiste vereint – nachdenklich nach Hause…Unsere Reise geht weiter, das Thema bleibt.

 

Während unserer letzten Fahrt in einem museumsreifen grünen Plymouth zum Flughafen in Havanna – wir hatten noch ein paar grandiose Strand-Tage an der Playa los Cocos im Norden des Inselstaats – schweifen meine Gedanken ab, zurück zu den letzten Wochen. Im Auto riecht es leicht nach Schmieröl, es ist warm aber der Wind weht uns durch das offene Fenster angenehm ins Gesicht: Wir haben ein Kuba gesehen, das uns – auch jenseits der geliebten Klischees – alles in allem gut gefallen hat. Kuba ist ein Sehnsuchtsland, ohne Zweifel! Und es befindet sich am Wendepunkt. Kuba wird sich neu erfinden müssen. Statt Kaltem Krieg soll wieder Freundschaft sein. Aber was für eine Freundschaft wird das sein? Man muss sich mit den Kubanern freuen, man muss aber wohl auch etwas Sorge um das Land und seine Menschen haben… Ich denke an Rubèn, Lilliana und Alfredo und frage mich, ob es im postsozialistischen Kuba wohl noch hauptberufliche Schachlehrer geben wird…

 

Wir wissen es nicht. Aber es wird wohl nicht mehr so sein wie jetzt.

Ach, Kuba!

 



 

Freuen uns über Kommentare:

Bitte den Code eingeben:

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.

Oldies und viel Flair, Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)
Oldies und viel Flair, Havanna, Kuba (Foto Jörg Schwarz)

Folgt uns auf...

alter Account

Account 2017


Schreibt uns ...