Chile


Süd-Chile

 

Wie Tanzen im Liegen – Mit dem Frachtschiff durch Patagoniens Fjorde

 

Von Jörg Schwarz

Dieser Text ist in gekürzter Form auf der Seite www.globetrottermagazin.ch unter der Rubrik 'E-Mails aus aller Welt' veröffentlicht worden.

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Patagonien ist noch immer ein großes Versprechen: Gewaltige Gletscher,  azurblaue Seen und atemberaubende Naturparks. Dazu hervorragende Trecking- und Wanderrefugien, Outdoor-Aktivitäten satt und eine touristische Infrastruktur, die sich in dieser abgelegenen und dünn besiedelten Naturlandschaft sehen lassen kann. Kein Wunder, dass die Region für viele Reisende ein Sehnsuchtsland geblieben ist. Eine herausragende Attraktion auf dem Weg in den Süden fehlt in den Beschreibungen oft: Es ist eine mehrtägige Schifffahrt durch die chilenischen Fjorde Patagoniens. Um es jedoch gleich und unmissverständlich zu sagen: Eine Luxus-Kreuzfahrt ist das nicht – und das ist auch gut so!

 

Im Hafen Puerto Montt's, Nordpatagonien (Foto Jörg Schwarz)
Im Hafen Puerto Montt's, Nordpatagonien (Foto Jörg Schwarz)

 

Der Südpazifik - Bestaunt und gefürchtet!


Ich bewohne die obere Hälfte eines der zwei Etagenbetten in unserer engen, leicht abgewohnten Viererkabine, die wir uns mit einem Pärchen aus London teilen. Es ist unsere zweite Nacht an Bord. Bäuchlings liege ich auf meiner Pritsche und werde sekündlich durch die Gegend bewegt. Es geht nach vorn und zur Seite, zurück und wieder nach vorn und zur Seite. Draußen an der Bordwand knallt das Wasser gegen das Schiff, das uns vom Norden in den Süden Patagoniens fahren soll. Immer wieder vibriert das Schiff besorgniserregend. Wir befinden uns mitten in einer – so viel kann ich vorwegnehmen – unvergesslichen Schiffsreise durch die weitverzweigten chilenischen Meeresbuchten Patagoniens. Ich rutsche vor und zur Seite, zurück und wieder vor. Es ist ein bisschen wie Tanzen im Liegen…

 

Unser Schiff bewegt sich im Rhythmus der Wellen des südlichen Pazifik. Ich frage mich: Ist das jetzt ein normaler Seegang oder sind wir doch mitten in einem schweren Unwetter? Noch nie habe ich einen solchen Wellengang erlebt. Hoffentlich sind im Rumpf unserer Fähre LKWs und Container gut vertäut…! Hoffentlich ist es mein Magen auch! Der Wind umtost das Schiff und die mannshohen Wellen erschüttern bedrohlich immer wieder unseren Rumpf. Windgepeitschter Regen spritzt gegen das Bullauge unserer Kajüte. Ich bin noch ein zwei Stunden alarmiert, so sehr, dass ich erstaunlicherweise nicht einmal seekrank werde, und schlafe von dem stundenlang andauernden Geschunkel – nach vorn, zur Seite und zurück – irgendwie ein. Was für ein Trip…

 

Als ich am nächsten Morgen erwache, höre ich zunächst das kräftige Tuckern der Dieselmotoren unseres Schiffs. Wir gleiten ruhig dahin, haben demnach offenbar den Golfo de Penas, den einzigen wilden und rauen Abschnitt unserer Schiffstour auf offener See hinter uns gelassen. Ich bin froh, dass alles in Ordnung ist – wir haben es offenbar gut  überstanden. Die Luft um mich herum ist stickig, ich bin, angesichts der turbulenten Nacht, etwas groggy und öffne das kleine, runde Fenster neben meinem Bett. Kühle Luft strömt hinein. Ich sehe durch das beschlagene Bullauge, dass draußen schon Bewegung ist. Es scheint kalt zu sein, die Menschen tragen dicke, warme Jacken und Mützen auf dem Kopf. Jemand ruft irgendetwas. Ich höre nur ein hysterisches „Dolphins“ und sehe einzelne Passagiere am Fenster vorbeisausen, in Richtung der Rufenden. „Na toll!“ höre ich aus dem unteren Bett. „Wir haben mal wieder das Beste verpasst…“.

 

Der Hafen Puerto Montt's - Im Hintergrund der Vulkan Osorno (Foto Jörg Schwarz)
Der Hafen Puerto Montt's - Im Hintergrund der Vulkan Osorno (Foto Jörg Schwarz)
Das Wetter ist zunächst gut, die Sonne scheint in Puerto Montt (Foto Jörg Schwarz)
Das Wetter ist zunächst gut, die Sonne scheint in Puerto Montt (Foto Jörg Schwarz)

 

Eine „Henkersmahlzeit“ in Puerto Montt


Aber der Reihe nach: Wir sind schon eine Weile im Norden Argentiniens und Chiles unterwegs, als wir für die mehrtägige Schiffspassage in Puerto Montt, Nord-Patagonien, anreisen. Wir sind über mehrere Wochen die argentinisch-chilenischen Anden von Nord nach Süd heruntergereist, haben interessante Menschen, herausragende Landschaften und kulturelle Höhepunkte in beiden Ländern bestaunt. Wir haben ein Ziel: Trecking in den Nationalparks Torres del Paine und Los Glaciares – mit Sack und Pack, wir und die Natur! Doch bevor wir uns in die Nationalparks stürzen, wollen wir uns einem ganz anderen Abenteuer widmen: Eine mehrtägige Tour mit einem Transportschiff durch die patagonischen Meerengen Chiles. Ein absolutes Reisehighlight – wie sich später herausstellen soll.

 

Bevor wir am Terminal de Transpordadores einchecken, verbringen wir zwei ruhige Tage in Puerto Montt. Der Wirtschafts- und Transportknotenpunkt der Region ist Heimat vieler Chilenen mit deutschen Wurzeln. Wir haben spannende Begegnungen, lernen viel über die Besiedlungsgeschichte Chiles und die Rolle der Deutschen dabei und dürfen bei einem Deutsch-Chilenen – was für eine Überraschung – das beste Steak unserer Reise genießen: „Für eine Reise mit der Navimag“,  raunt uns der Besitzer des Steakhauses augenzwinkernd zu, „genau das Richtige! Wie heißt das auf Deutsch: Henkersmahlzeit!“ „Äh, Moment mal…!?“ So hatten wir das noch gar nicht gesehen…

 

Die Heckklappe der Navimag-Fähre kurz vor der Abfahrt (Foto Jörg Schwarz)
Die Heckklappe der Navimag-Fähre kurz vor der Abfahrt (Foto Jörg Schwarz)

 

Luxus ist das nicht – und das ist auch gut so!


Das Verkehrsmittel unserer Wahl durch die patagonischen Fjorde ist eine Fähre der Reederei Navimag, ein kommerzielles Transportunternehmen, das  regelmäßig Fahrten durch die Meerengen zwischen Puerto Natales und Puerto Montt offeriert. Von Argentinien aus hatten wir uns schon vor Wochen über das Internet zwei Tickets in einer Viererkabine gesichert. Im vollen Bewusstsein dafür, dass die Navimag-Fähre kein Kreuzfahrt-, sondern ein Frachtschiff ohne luxuriöse Annehmlichkeiten ist, welches Container, schwere Güter und gelegentlich ganze Viehherden lädt, gehen wir bei strahlendem Sonnenschein an Bord. Wir freuen uns sehr, haben aber auch ein wenig Respekt. Der Trip wurde uns von Reisenden empfohlen: Die Fahrt sei „unvergesslich“, sagten die einen. „Ein Höllentrip“ prophezeiten die anderen. Und beides könnte stimmen...

 

Wir betreten das Schiff durch dessen riesige Bug-Öffnung. Eine haushohe Hebebühne hievt uns im Hafen quietschend vom Frachtraum in den Passagierbereich. Es stehen die zwei oberen Ebenen zur Verfügung: Auf der unteren wird gewohnt, gelebt und geschlafen, auf der oberen können wir uns frei bewegen und in alle Himmelsrichtungen in die Landschaft schauen. Unten im Schiff wird die Fracht verladen. Unser Gemeinschaftsraum erweist sich als solide und gemütlich, die Kabine ist funktional und behaglicher, als man zunächst annehmen konnte. Nach einer ersten Stippvisite auf dem Schiff gibt’s die Rettungs- und Notfallinstruktionen. Wir erfahren, dass dieses Schiff – eines der kleinsten und ältesten bei der Navimag – eine seiner letzten Fahrten macht…

 

Wale und Delphine im Canal Moraleda


Wir haben heute Glück – den ganzen Tag schon ist es sommerlich und mild, als wir auslaufen ist die See ruhig und die Sonne geht gerade in einem atemberaubenden Orange unter. Unser Blick schweift über Puerto Montt und seine grünen Hügel, direkt im Hintergrund thront der Vulkan Osorno am Horizont – sein sonst schneeweißer Kegel färbt sich im Abendrot zunehmend rosa. Leider fahren wir über den Golfo de Ancud recht schnell in die Nacht hinein und sehen von der Insel Chiloé nur wenig. Ein Jammer!

 

Atemberaubender Sonnenuntergang bei Ausfahrt aus dem Hafen Puerto Montt's (Foto Jörg Schwarz)
Atemberaubender Sonnenuntergang bei Ausfahrt aus dem Hafen Puerto Montt's (Foto Jörg Schwarz)

 

Am nächsten Morgen befinden wir uns bereits inmitten der Inselwelt, im Canal Moraleda, die uns – eine Nacht später wissen wir dann, was das bedeutet – vor den großen Wellen des Pazifiks schützt. Es ist trübe geworden, der Himmel bedeckt. Es hat sich spürbar abgekühlt. Vor allem der Wind, der unbarmherzige patagonische Wind, zwingt uns in unsere wärmsten Jacken und unter Kapuzen – mitten im Sommer. Mal trennen uns viele Meter von dem umgebenden Land, mal kommen wir diesem näher und näher. Was wir dann sehen ist eine faszinierende Mischung aus kargen Felsen und Klippen sowie üppig überwucherten Eilanden mit Wasserfällen und herrlichen Buchten. Unsere Fähre schlängelt sich um diese herum, pflügt sich Meter um Meter durch das eiskalt und abweisend wirkende Wasser und führt uns stetig weiter gen Süden.

 

Dann hören wir sie zum ersten Mal: Wale! Es prustet einmal, zweimal, und jetzt sehen wir sie auch. Nein, die Wale selber leider nicht… Einen weiten Bogen um unser Schiff machende Riesen schießen aus Atemlöchern Fontänen in die Luft. Jetzt sehen wir auch mal eine Rückenflosse. Mehr bleibt uns leider verwehrt – wir sind zu weit weg. Aber: Wir wissen sie sind da, offenbar eine Walmutter mit Nachwuchs, denn eine der Fontänen ist deutlich kleiner als die anderen. Das Gefühl, das sich beim Kreuzen der Wale bei uns einstellt, ist erhebend. Während aller Tage unserer Reise erleben wir das nun immer wieder. Wir sehen zudem große Herden von Delphinen und Robben am oder unter dem Schiff vorbeiziehen, zahlreiche Seevögel und ab und an mal eine einsame Yacht.

 

Es hat sich eingetrübt - keine Sonne und spürbar zunehmende Kälte im Moraleda Channel (Foto Jörg Schwarz)
Es hat sich eingetrübt - keine Sonne und spürbar zunehmende Kälte im Moraleda Channel (Foto Jörg Schwarz)
Aufwärmen im Gemeinschaftsraum wird jetzt zur regelmäßigen Übung! (Foto Jörg Schwarz)
Aufwärmen im Gemeinschaftsraum wird jetzt zur regelmäßigen Übung! (Foto Jörg Schwarz)
Das Wetter verschlechtert sich zunehmend - Regen und Wind machen den Aufenthalt an Bord unangenhem (Foto Jörg Schwarz)
Das Wetter verschlechtert sich zunehmend - Regen und Wind machen den Aufenthalt an Bord unangenhem (Foto Jörg Schwarz)

 

Der Golfo de Penas – Tanzen im Liegen


Als wir am Vorabend unserer Passage durch den Golfo de Penas – das Schiff fährt hier für mehrere Stunden in den ungeschützten Bereich des offenen Pazifiks hinaus – unser erstaunlich gutes  Abendessen einnehmen – es gibt Spaghetti Bolognese –, halten wir uns ein wenig zurück. Wer weiß, wie es uns noch ergehen wird in dieser Nacht… Noch am Tage berichteten zwei sichtlich amüsierte Mitreisende aus den Niederlanden: „Als wir mit der Fähre in entgegengesetzter Richtung unterwegs waren, gab’s eine ordentliche Sauerei: Wir aßen gerade zu Mittag, als wir den Golf erreichten: Noch ehe wir es realisiert hatten, sind die Tabletts reihenweise die Tische runter… Es hat nicht lange gedauert, da liefen die ersten Leute mit vorgehaltenen Händen in Richtung Kabine oder Reling – nicht jeder hat’s rechtzeitig geschafft…“. – „Hat man Euch denn nicht vorgewarnt?“ – “Das schon, aber die Wucht der Wellen war so überraschend und so heftig, dass man gar nicht schnell genug alles halten konnte. Das Abendessen war dann jedenfalls für die meisten vorbei.“ Na, das kann ja heiter werden...

 

Kurz bevor es losgeht, ziehen wir uns ehrfürchtig in unsere Kabine zurück und lesen noch etwas. Es ist eh schon dunkel. Im Liegen glauben wir der Wucht des Pazifik besser zu entgehen – oder sagen wir: wir glauben den Folgen hier besser begegnen zu können… Und dann die ganze Nacht: Tanzen im Liegen! Unsere Strategie jedenfalls ging auf!


Patagonischer Sommer: Selbst die schlimmste Wetterküche hat ihre Reize (Foto Jörg Schwarz)
Patagonischer Sommer: Selbst die schlimmste Wetterküche hat ihre Reize (Foto Jörg Schwarz)

 

Rost über und über: Das Wrack der Capitán Leonidas


Nach überstandener Pazifik-Nacht passieren wir den Canal Mesier, mit 1.270 m der tiefste Abschnitt unserer Route. Je tiefer wir in das Fjordgeflecht eindringen, desto kälter und unwirtlicher wird es. Die Eis- und Schneefallgrenze sinkt kontinuierlich, das Wetter ist wenig sommerlich. Es wird spürbar dunkel und grau. Sprühregen und Nebelschwaden wabern um uns herum, in der Landschaft nehmen schneebedeckte Gipfel beständig zu. Konnten wir anfangs längere Zeit an Deck verbringen und die Natur bestaunen, verkürzt sich diese Zeit nun mehr und mehr. Besuche im Gemeinschaftsraum, auf der Brücke des Schiffs und draußen an der Reling wechseln sich nun ständig ab. Wir müssen erkennen, dass unsere Vorstellung vom Sonnenbaden an Deck hier keine Realität wird, dass die Natur hier eben nicht auf Bestellung agiert… Patagonischer Sommer!

 

Wieder an Deck widmet sich unsere Aufmerksamkeit jetzt dem vor uns auftauchenden dunklen Fleck mitten im Kanal: Näher und näher fahren wir mit reduziertem Tempo auf das rostige Wrack der Capitán Leonidas zu, ein vor Jahren auf Grund gelaufener Frachter, der heute als willkommener Anhaltspunkt für die Navigation in der Passage dient. Die Fahrt durch die Fjorde ist nach wie vor ein echtes Abenteuer: Einige der Meerengen verlangen von Kapitän und Mannschaft vollste Aufmerksamkeit. Erst 2014 lief zuletzt ein großes Fährschiff in einem der Kanäle auf Grund. Während uns „die Brücke“ die gesamte Fahrt über offen steht, ist sie bei Durchquerung gefährlicher Passagen allein der Crew vorbehalten. Konzentration und Seemannskunst sind dann gefragt, Touristen müssen weichen. Die Capitán Leonidas hatte Pech: Sie schaffte es nicht über die hiesigen Untiefen hinweg und liegt seit den 70er Jahren – fast unversehrt – auf dem versunkenen Inselchen Bajo Cotopaxi. Seither rostet sie vor sich hin und dient derweil als Orientierungsmarke und Leuchtturm.

 

Zu Besuch auf der Brücke - Nur wenn es draußen eng wird, ist die Brücke verschlossen! (Foto Jörg Schwarz)
Zu Besuch auf der Brücke - Nur wenn es draußen eng wird, ist die Brücke verschlossen! (Foto Jörg Schwarz)
Das Wrack der Capitán Leonidas - Heute Leuchtturm! (Foto Jörg Schwarz)
Das Wrack der Capitán Leonidas - Heute Leuchtturm! (Foto Jörg Schwarz)

 

Die ganze Welt zu Gast an Bord


Wir frieren fürchterlich. Es tut mal wieder not, einen heißen Tee zu trinken. In unserem Gemeinschaftsraum haben sich schon andere eingefunden. Überall rote Nasen, glühende Wangen und dampfende Becher. Einige wenige schauen einen Film, andere lesen. Die meisten nutzen die Gelegenheit und mischen sich unter die zahlreich vorhandenen Fremden: In immer neuen Konstellationen treffen Australier auf Chilenen, Deutsche auf Mexikaner und Schweizer auf Argentinier. Der eine hat den Aconcagua, den höchsten Berg der Anden,  bestiegen, andere werden die Carreterra Austral mit dem Rad befahren. Viele wollen - wie wir - in den Parks des Südens wandern. Jetzt sind alle von der Fahrt auf dem Schiff restlos begeistert – trotz oder gerade wegen der eindrücklich unwirtlichen Atmosphäre da draußen, die allen zeigt, wie wenig der Mensch hier in der eigenen Hand hat. Hier, im warmen Inneren des Schiffes, rücken alle zusammen und kommen sich näher. So knüpfen wir nach zahlreichen Begegnungen Bekanntschaft um Bekanntschaft.  Viele der hier getroffenen Reisenden werden wir im weiteren Verlauf unserer Patagonientour immer wieder treffen. Anlässe zum Feiern gibt es also auch an diesem Ende der Welt genug…

 

Bei den KawésqarPuerto Edén


Dann ruft einer in den Raum: „Puerto Edén“! Die kleine Siedlung ist eine der wenigen bewohnten Vorposten in dieser Gegend der Welt und unser einziger kurzer Halt während der Überfahrt. Von der Reling aus sehen wir in der Ferne winzige bunte Häuschen. Kleine Motor- und Ruderboote steuern auf uns zu. Wir steigen metallene Treppen in den Rumpf der Fähre hinab, vorbei an Fahrzeugen, Containern und vielerlei Krams. Dieselgeruch steigt uns in die Nase. Im Bug öffnet sich die vordere Fährenklappe und Bretter, Kartons, Möbel sowie allerlei Lebensmittel  werden herangeschafft und auf die Boote verladen. Es kommt zu herzlichen Begrüßungen und kleinen Schwätzchen zwischen Vertrauten: Man kennt sich, versorgt sich der kleine Ort doch nahezu ausschließlich über diesen Transportweg.

 

Die Bewohner Puerto Edéns versorgen sich an der geöffneten Heckklappe unserer Fähre (Foto Jörg Schwarz)
Die Bewohner Puerto Edéns versorgen sich an der geöffneten Heckklappe unserer Fähre (Foto Jörg Schwarz)
Puerto Edén - Letzte Bastion der Nachfahren der Kawésqar-Urbevölkerung (Foto Jörg Schwarz)
Puerto Edén - Letzte Bastion der Nachfahren der Kawésqar-Urbevölkerung (Foto Jörg Schwarz)

 

Die Bewohner dieser abgelegenen Ortschaft sind die letzten Kawésqar-Indianer bzw. deren Nachfahren. Die Kawésqar, heute fast vollständig dezimiert, sind nomadische Ureinwohner, die in der Region vom Golfo de Penas bis zur Magellanstraße verbreitet waren. Sie lebten Jahrhunderte in dieser unwirtlichen Region als kanufahrende Jäger und Fischer. Ihr Niedergang begann – wie auch bei anderen indigenen Gruppen in Patagonien – mit der Expansion von Wal- und Robbenfängern aus Europa und Nordamerika und der Ausbreitung derer Krankheiten. Während sich die Bevölkerungsgröße der Kawésqar immer weiter reduzierte, veränderte sich auch deren kulturelle und soziale Lebensweise immer stärker. Heute sind die Kawésqar und ihre Kultur nahezu verschwunden. Ihre letzte Bastion bleibt Puerto Edén. Patagonien und seine Urbevölkerung – eine leider unrühmliche Geschichte…

 

Eine halbe Stunde später – wir stehen wieder oben an der Reling – nehmen wir erneut Fahrt auf: Die kleinen bunten Häuser von Puerto Edén am Ufer von Isla Wellington entschwinden am Horizont.

 

Das Nadelöhr - die engste Passage erfordert vom Kapitän höchste Aufmerksamkeit (Foto Jörg Schwarz)
Das Nadelöhr - die engste Passage erfordert vom Kapitän höchste Aufmerksamkeit (Foto Jörg Schwarz)

 

Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer

 

Über zahlreiche, immer enger und enger werdende Kanäle, fährt uns das Schiff langsam aber sicher unserem Zielhafen entgegen. Wir passieren noch die engste Stelle der Reise, die „Weiße Enge“ oder Angostura White, die hier nur etwa 80 m breit ist, und fahren dann in den Hafen von Puerto Natales ein. Wir sind ein wenig wehmütig, wissen aber, dass hier weitere herausragende Erlebnisse auf uns warten: Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer!

 

Es ist bei Einfahrt windig und bitterkalt. Es regnet. Ein bisschen graut uns jetzt vor der Vorstellung, in dieser Eiseskälte tagelang mit Rucksack und Zelt durch die Wildnis zu laufen. Aber wir haben Glück: Zum einen hat die Region des Parks ihr ganz eigenes – allerdings ebenso unvorhersehbares – Mikroklima und zum anderen entschädigt dieses Land ohnehin für jede Strapaze: Wir wandern ein paar Tage im berühmten Torres del Paine-Park, bewundern beeindruckende Gletscher und Eisberge, bestaunen das leuchtende Blau des Lago Argentino und stehen im Los Glaciares-Nationalpark dem Perito Morena-Gletscher sowie dem Mount Fitz Roy Aug in Aug gegenüber. Die wilde Schönheit und raue Würde dieser Natur ist ergreifend und unvergesslich. Sie wäre eine eigene Geschichte wert.

 

Und doch: Patagonien wäre für uns unvollkommen geblieben, hätten wir die Reise auf der Fähre der Navimag nicht gemacht. Unsere Empfehlung an alle, die sich in diese Breiten aufmachen: Patagoniens Fjorde auf keinen Fall auslassen. Sie sind nicht nur Passage und Überfahrt,  sondern ein eigenes, absolut lohnendes Ziel – und das bei jedem Wetter! Wo sonst lässt sich im Liegen tanzen?

 

Dieser Text ist in gekürzter Form auf der Seite www.globetrottermagazin.ch unter der Rubrik 'E-Mails aus aller Welt' veröffentlicht worden.

 

Ankommen in Puerto Natales (Foto Jörg Schwarz)
Ankommen in Puerto Natales (Foto Jörg Schwarz)
Wir wandern u.a. durch die von schweren Bränden zerstörten Wälder - auch das hat seinen Reiz (Foto Jörg Schwarz)
Wir wandern u.a. durch die von schweren Bränden zerstörten Wälder - auch das hat seinen Reiz (Foto Jörg Schwarz)
Im Torres Del Paine-Nationalpark (Foto Jörg Schwarz)
Im Torres Del Paine-Nationalpark (Foto Jörg Schwarz)
Der Perito Moreno-Gletscher - einziger wachsender Gletscher der Welt (Foto Jörg Schwarz)
Der Perito Moreno-Gletscher - einziger wachsender Gletscher der Welt (Foto Jörg Schwarz)

Ausblick auf den Mount Fitz Roy, bei El Chalten (Foto Jörg Schwarz)
Ausblick auf den Mount Fitz Roy, bei El Chalten (Foto Jörg Schwarz)

 

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