von Reinhard Helle
10.06.2018
Zum Aufsetzen des Fußes braucht man nur eine kleine Stelle,
aber man muss freien Raum vor den Füßen haben,
dann erst kommt man kräftig vorwärts.
Chuang-tzu
Das Eingangszitat sandte uns Michael Friederici (Initiator und Veranstalter der „Schwarze Hafen-Nächte“ in der Hamburger Speicherstadt Kaffeerösterei) mit einer Mail kurz vor dem Abflug nach China zu - als Reisebegleitzitat.
Vielen Dank dafür.
Ein Traum seit Jahren... Gebucht vor einigen Monaten... Sechs Wochen vor der Reise die Visa beantragt... Dann ist es endlich soweit: Unser Abenteuer China beginnt und damit der zweite Teil unserer neuen Zeitrechnung: „Vor China“ … „In China“ … „Nach China“.
Zunächst einmal geht es los mit einer Fahrt mit dem ICE nach Frankfurt, und zwar ganz entspannt einen Tag vor dem Abflug. Wir übernachten in einem Hotel direkt am Flughafen, checken online ein und sind am nächsten Morgen rechtzeitig - das bedeutet für uns viel zu früh - zur Gepäckaufgabe am Schalter. Die Erfahrungen meines Bruders, der fast einen Flug von Düsseldorf nach Montreal verpasst hatte, weil auch die Strecke von Herne nach Düsseldorf ein (fast) zu großes Hindernis darstellen kann, waren noch frisch in Erinnerung. Die Geschichte des Fluges ist schnell erzählt: Die Maschine der Air China war nur schwach besetzt, was unserer Bein-Bewegungsfreiheit sehr entgegenkam. Wir haben jeweils einen Platz am Gang, direkt nebeneinander. Einer der guten Tipps für Flug und Reise von unseren Freunden Karen und Jürgen.
Die Landung erfolgt dann morgens um sechs Uhr Ortszeit nach ca. neun Stunden Flugzeit auf dem internationalen Flughafen in Beijing. Beijing hat zwei große Flughäfen, ein dritter wird z.Zt. gebaut. Die Planung für die Bauzeit beträgt ca. drei Jahre - nein es kommt jetzt kein weiterer Hinweis auf den BER... Nach dem Ausstieg beginnen für uns dann die Überraschungen, die sich natürlich - wie könnte es anders sein - durch die Reise ziehen werden... Und das ist auch gut so, was wäre eine solche Reise ohne Überraschungen?! Zunächst müssen alle Passagiere an extra dafür bereitgestellten Automaten in Verbindung mit dem jeweiligen Reisepass ihre Abdrücke von allen 10 Fingern einlesen lassen. Auf dem Weg zur Passkontrolle steht ein Schild: "Gehen Sie bitte langsam, Ihre Körpertemperatur wird gemessen." 'Gut', denke ich, 'das Martina und ich vorher keinen Streit miteinander gehabt haben...' Und: 'Was wäre wohl bei erhöhter Körpertemperatur geschehen?' An getrennten Schaltern erfolgt die Pass- und Visakontrolle und nochmals werden alle 10 Fingerabdrücke eingelesen. Nach einem tiefen Blick des Zollbeamten in unsere Augen und einem Foto durch das Gesichtserkennungsprogramm öffnet sich die Sperre: China lässt uns eintreten! Wir werden in den nächsten drei Wochen nochmals gefühlte 25 mal durch solche Programme gescannt und fotografiert...
Die Dimensionen des Capital Airport in Peking, eine riesige Konstruktion aus Stahl und Glas, entworfen vom britischen Stararchitekten Sir Norman Forster, erleben wir beim Abholen unseres Gepäcks. Nicht zu Fuß, sondern mit einer vollautomatischen S-Bahn werden wir in einen anderen Teil des Flughafens gefahren. Fahrzeit ca. fünf bis sieben Minuten. Der Vorteil des lange dauernden Abfertigungsverfahrens: Die Koffer warten schon auf uns. Wir gehen zum Ausgang, der Reiseleiter des Veranstalters China Tours wartet schon auf uns. Zwei Teilnehmer stoßen erst später im Hotel zu uns: Ihr Flug von Dresden nach Frankfurt wurde von der Lufthansa kurzfristig gecancelt. Ihr Weiterflug mit Aeroflot (!) klappte dagegen super.
Im Bus erhalten wir die ersten grundlegenden Informationen vom Reiseleiter Hao Lei . Dies entspricht der chinesischen Schreibweise: Hao ist der Familienname, Lei ist der Vorname – er wird von uns während der Reise immer nur Hao gerufen, weil es in der chinesischen Hochsprache die berühmten vier „Töne“ gibt: (1) gleichbleibender Ton, (2) steigender Ton, (3) nach unten gedrückter dann steigender Ton und (4) kurzer fallender Ton. Wenn man das Wort Lei falsch betont, kann das schnell „müde“ bedeuten und wer möchte schon von einen „müden Reiseleiter“ begleitet werden, zumal Hao alles andere als müde war...
Unsere Hotelzimmer stehen frühmorgens noch nicht zur Verfügung, weshalb wir den Tag in Beijing zur Besichtigung des Sommerpalastes und einer Bootsfahrt auf dem Kunming-See nutzen. An dessen Ufer erstreckt sich eine Anlage mit Pavillons, Wandelgängen und Tempeln. Ende des 19. Jahrhunderts richtete die Kaiserinwitwe Cixi sich das weitläufige Anwesen als Alterssitz her. Unser erster Eindruck: Wer diese Anlage besichtigt hat, kann den Sinn des Sprichwortes: „Leben wie der Kaiser in China“ gut verstehen.
Am Ende unseres ersten Tages in China besuchen Martina und ich im The Red Theatre in Beijing noch das Musical „Die Legende von Kung Fu“. Hauptgrund war eigentlich die schnelle Überwindung des Jetlag, aber der Besuch der Vorstellung hat sich auch inhaltlich gelohnt: Eine tolle Show mit wahnsinnigen Kung-Fu-Einlagen und ganz sicher keine Schlaftablette... Bruce Lee lässt grüßen.
Was uns schon in den ersten Tagen dieser Reise immer deutlicher wird, ist, dass dieser China-Ausflug ganz sicher keine langsame, reflektierte Reise, sondern eine intensive Reise in kurzen Intervallen mit jeweils unzähligen Eindrücken sein wird. Die vielen Eindrücke, die wir Tag für Tag erleben, kann man eigentlich gar nicht in einem Text aufschreiben... Ihr braucht ein Beispiel? Allein zum Thema „Verkehr und Mobilität“ gibt es unzählige Eindrücke und Informationen, die uns in den vergangenen Wochen begegnet sind, so dass dieser Bericht, würde ich alles erfassen wollen, von nichts anderem mehr handeln würde, als von diesem Schwerpunkt... Ein beispielhaftes Zitat eines chinesischen Verkehrsteilnehmers, das ich dann aber nicht vorenthalten möchte, lautet (übersetzt): „Ampeln sind in Deutschland definitiv, in Italien alternativ und China dekorativ.“
Zu den selbst erlebten Eindrücken kommen die detaillierten und spannenden Informationen durch unseren Reiseleiter Hao Lei hinzu. Ein junger Chinese, aus Xi’an stammend und auch dort heute noch mit seiner Familie wohnend, mit sehr guten Deutschkenntnissen, zweimal schon bei China Tours 'Reiseleiter des Jahres' gewesen... Es sind auch die unzähligen Gespräche „am Rande“ mit ihm, die uns ein Bild des heutigen China vermitteln. Wir lernen während der 20 Tage in China einige Puzzlestücke dieses riesigen Landes kennen, einige verstehen wir, einige nehmen wir einfach nur auf… Aber reicht das alles für ein stimmiges Gesamtbild? Manchmal haben wir schon den Eindruck, auf einem anderen Planeten zu sein.
Auch wenn wir gern individuell reisen, für China ist es vielleicht erstmal besser, sich organisiert zu bewegen... Und so sind wir von den Vorzügen dieser Reise überzeugt: Wir besuchen sowohl große als auch kleine und kleinste Städte - Peking und Shanghai besuchen wir genauso wie Datong, Guilin, Xi’an, Xiamen, Suzhou und noch unzählige kleinere Städte… Wir erleben zumindest auch an einigen Stellen das Leben auf dem chinesischen Land. Wir übernachten in großen Hotels und einfachen Gasthäusern. Wir haben an manchen Tagen ein volles Programm und an einigen Tagen auch die Zeit, die Städte und das Land individuell zu erkunden. Wir erleben (natürlich) viele touristische Highlights. Immer wenn wir dort sind, sind auch schon unzählige Chinesinnen und Chinesen dort. Aber der Veranstalter China Tours hat auch einige Sequenzen eingebaut, in denen wir tatsächlich allein oder zumindest fast allein sind. Hao Lei schafft es außerdem immer wieder, uns selbst bei großem Andrang an den besten Stellen und Orten zu platzieren, uns dorthin zu dirigieren, wo wir trotz der Massen von Menschen unseren Standort behaupten können. Allein das ist schon eine bemerkenswerte Leistung, denn an diesen Stellen ist es auch deutlich ruhiger und leiser. Wir lernen, das viele Chinesen gemeinsam laut sein können, dass sie laute Menschenmassen offenbar aber auch mögen und sehr gern in (großen und lauten) Gruppen reisen... In einem Land mit derart vielen Menschen sind intime Distanzen relativ...
Wir besuchen in Beijing natürlich den einst unrühmlich berühmt gewordenen Tian’anmen-Platz und sind beeindruckt von der Größe des Platzes und den Gebäuden, von denen er flankiert wird. Darunter finden sich die Volkskongresshalle, das Nationalmuseum und das Mao Mausoleum - allesamt berühmte Sehenswürdigkeiten. Durch das Tor des Himmlischen Friedens betreten wir den Kaiserpalast, die Verbotene Stadt u.a. mit dem Tor der höchsten Harmonie, mit der Halle der höchsten Harmonie, mit der Halle der Harmonie der Mitte und mit der Halle der Harmoniewahrung. Bei so viel 'Harmonie' werden in der Reisegruppe ab sofort alle WC’s umgetauft in „Hallen der Harmonie“ und die entsprechenden Pausen werden als „Harmoniepausen“ eingestuft... Der berühmte Kinofilm „Der letzte Kaiser“ ist übrigens der einzige Film, der in den Gebäuden und Räumen des Kaiserpalastes gedreht werden durfte - ein echtes Privileg. Gleich hinter dem Palast befindet sich der sog. Kohlehügel, von dem wir einen schönen Ausblick auf Beijing haben - ohne Smog, mit blauem Himmel und Sonnenschein.
Anschließend geht's zur Großen Mauer, die wir tausend Mal auf Bildern gesehen haben. Sie ist in der Realität - selbstredend - doch wesentlich eindrucksvoller. Vom
Ausgangspunkt in Badaling gehen wir zur Linken auf die Mauer herauf, während die chinesischen Touristen sich alle nach rechts orientieren. Erstmal sind wir
irritiert, dann wissen wir warum: Wir sind auf unserem Abschnitt jetzt fast allein, während der andere Abschnitt beinahe überquillt... Was wir erst später merken: Der linke Zugang liegt deutlich
tiefer und der Aufstieg ist außerordentlich steil! Wir kommen am Ende des Tages deshalb nochmal so (ganz) langsam an unsere Grenzen... Aber es hat sich gelohnt, diese Mauer hat was!
Zurück in Bejing besuchen wir am kommenden Tag zunächst den Himmelstempel bevor wir anschließend mit dem „Bummel“-Zug nach Datong fahren, einer weiteren Kaiserstadt ganz in der Nähe zur Großen Mauer. Diese Stadt wird von Hao Lei als „Kleinere Stadt“ bezeichnet. Wir staunen: Sie hat auch „nur“ ca. 2 Millionen Einwohner... Insgesamt gibt es in China über 100 Millionenstädte… Einerseits! Andererseits gibt es natürlich auch das ländliche China mit der Landbevölkerung und seinen Bauern, viele kleine Parzellen, wenig Maschineneinsatz und eine zunehmend enorme Land-Stadt-Flucht gerade der jungen Chinesen. Die Chinesen sind sich der damit verbundenen Problematik durchaus bewusst: Die Frage steht im Raum, wer denn in einigen Jahren das Land bewirtschaften und für die Versorgung mit Reis und Gemüse sorgen soll? Eine Antwort gibt es derweil noch nicht...
Am Hauptbahnhof in Beijing erleben wir erstmalig richtige Menschenmassen - mit der Betonung auf „Massen“. Bahnhöfe dürfen in China ja nur von Personen betreten werden, die vorher ein Zugticket gelöst haben. Gewartet wird daher nicht am Gleis, sondern in Wartesälen und erst kurz vor oder sogar erst nach dem Eintreffen des Zuges wird man zum Bahnsteig vorgelassen. Das ist dann noch mit Pass-, Fahrkarten- und Gepäckkontrollen verbunden, die es in sich haben... Unser Wartesaal war zunächst ganz schön voll, dann wurde es sehr voll und am Ende kann man nur von rappelvoll sprechen... Ich habe Glück: Bei einer Körperlänge von 1,90 m, habe ich bei den mitwartenden Chinesen immer „die Übersicht“ behalten. Aber das Warten in diesen Räumen brachte weitere Überraschungen für uns mit sich: Martina mit ihrem blonden Haar und ich mit meiner Länge - also eindeutig als Nichtchinesen identifizierbar - mutierten zu sehr begehrten Fotomotiven. Gerade Chinesen vom Land haben nämlich auch heute noch selten Gelegenheit, Ausländer zu sehen und zu erleben… Und so zieren wir heute wahrscheinlich zahlreiche chinesische Fotoalben oder -dateien, mal allein, mal gemeinsam mit Chinesen...
In der Nähe Datongs befinden sich die berühmten Yungang-Grotten. In diesen gut 1.500 Jahre alten Höhlen befinden sich tausende kunstvoll in den Fels gehauene Buddha-Statuen, die den Einfluss des Buddhismus in China eindrucksvoll illustrieren. Die zwischen 460 und 525 n. Chr. geschaffenen, detailverliebten Figuren variieren in Form und Größe zwischen ‚fingerhutgroß‘ und ‚haushoch‘. Zu diesem Zeitpunkt ist es mir zwar noch nicht klar, aber von diesem Moment an erhalten wir im post-kommunistischen China so viele Informationen zu den Themen Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus wie nie zuvor in unserem Leben... Schon komisch, welche Possen das Reisen manchmal schreibt.
Auf dem Weg nach Pingyao besuchen wir in Yingxian die 67 m hohe Holzpagode, die ein Prunkstück klassischer chinesischer Architektur ist. Sie ist die größte Holzpagode der Welt. Ihr Bau erfolgte ohne Verwendung eines einzigen Nagels und wir fragen uns: Warum bietet China Tours eigentlich keine „China – Architektur-Tour“ an? Die Kategorien könnten alt, modern und supermodern sein...
Nach einer kurzen Fahrt erreichen wir unser nächstes Hotel, das diesmal in Pingyao steht und sich als wunderschönes (alt-)chinesisches Gasthaus entpuppt, mit viel Liebe zum Detail eingerichtet, aber mit Betten wie aus Stein. Man muss den Sinn des Wortes hier sehr ernst nehmen: Gemauerter Untergrund mit einer sehr dünnen Matratze darauf. Futon ist nichts dagegen... Das Einschlafen ist allerdings halb so schwierig wie gedacht, denn das Essen im Gasthaus ist exzellent und es gibt (60%igen) Sagoschnaps...
Pingyao ist eine der am besten erhaltenen alten Städte in China. Der Ort ist ein Gesamtkunstwerk, das in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben ist und es wurde in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. In die Altstadt dürfen nur Elektrowagen mit 10-12 Sitzplätzen fahren, eine abenteuerliche Fahrt. Als wir am Abend zuvor durch die Altstadt gegangen sind, hatten wir den Eindruck, dass die Stadt außer „Weltkulturerbe“ auch noch das „chinesische Mallorca“ sein könnte: Zahlreiche Läden mit (Fuß-)Massageangeboten, Karaokebars, Bars mit Livemusik und die Müllabfuhr in der Nacht, die sich mit lauter klassischer Musik ankündigt. Praktisch, so weiß in der Nacht jeder, dass die Müllabfuhr kommt... Wie grausam, wenn uns diese Erkenntnis entgangen wäre... Apropos UNESCO-Weltkultur- und -naturerbe: Wir besuchen während der Reise durch China zahlreiche „Erben“. Für ausländische Besucher heißt das stets: Pass zücken und eine mehr oder minder intensive Kontrolle über sich ergehen lassen. Allerdings ist uns aufgefallen, dass man in vielen Ausstellungen, Museen u.ä. Einrichtungen nichts bezahlen muss, wenn man unter 1,20 m groß ist. Da gibt es dann an den Einlasstüren entsprechende „Höhenmessungen“. Kein Scherz - ich musste natürlich immer zahlen!
Am Nachmittag fahren wir mit dem Superschnellzug weiter nach Xi’an. Vom Hotel in Pingyao bis zum neu erbauten Bahnhof war es eine Fahrt von ca. einer Stunde. Die Bahnhöfe an den neuen Strecken für die Hochgeschwindigkeitszüge sind alle in den letzten 10 Jahren gebaut worden. Der neue Bahnhof liegt aktuell noch einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Wir sind aber sicher: in 10 Jahren liegt er mitten im Zentrum, wenn die rasante wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre in Xi’an und China so weitergeht, wie in den letzten 20 bis 30 Jahren. Und die Frage ist erlaubt: Kann es in den nächsten Jahren denn überhaupt so weitergehen? Ist diese Entwicklung vielleicht nur eine temporäre Blase? Wir diskutieren das mit den Mitgliedern der Reisegruppe und sind uns in der Einschätzung einig: Politisch scheint China ein absolutistischer autokratischer Einparteienstaat, in dem die Menschenrechte „keine große Rolle spielen“ oder, um es mal deutlicher auszudrücken: In China werden Jahr für Jahr mehr Menschen hingerichtet als in allen anderen Staaten zusammen; die genaue Zahl ist ein Staatsgeheimnis… Wirtschaftlich scheint China dagegen kapitalistischer als jedes anderes kapitalistische Land zu sein. Vieles wird in diesem Staat zudem absolut zentralistisch gehandhabt, weshalb der Bau von Flughäfen, Autobahnen und Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge vermutlich schneller möglich ist, als z.B. in Deutschland. Aber wollen wir das bei uns denn auch? Um welchen Preis geschieht das hier?
Nach und nach drängt sich uns der Eindruck auf, dass die Chinesen preußischer als die Deutschen sind. Wir entnehmen das beispielsweise dem Ablauf im Bahnhof in Pingyao: Betreten des Bahnhofs nur mit Fahrkarte - Einzelfahrkartenkauf kurz vor der Abfahrt (sozusagen „Spontanfahrten“) sind sehr schwierig - unsere Karten für den Zug sind ca. drei Wochen vor Fahrtantritt gekauft worden - Koffer und Handgepäck werden durchleuchtet - dann Fahrkarten und (bei Ausländern) Passkontrolle. Der Personalaufwand in allen Bereichen im Bahnhof und auch in den Zügen ist sehr hoch: Für diese beiden Arbeitsschritte brauchen die Chinesen sieben Personen! Ca. 10 Minuten vor der Ankunft des Zuges werden die Karten nochmals kontrolliert und dann warten wir am Bahnsteig. Die Nummern der Waggons sind an den Stellen auf dem Bahnsteig aufgemalt, wo sie zum Halten komme. Eine geänderte Wagenreihung, so wie wir das bei der Deutschen Bahn häufig gewohnt sind, gibt es hier nicht. Besonders spannend ist die gelbe Abstandslinie, hinter der man gehorsam zu warten hat: Einmal bin ich während des Wartens am Bahnsteig einige Schritte über die gelbe Linie gegangen, um besser fotografieren zu können. Das Ergebnis ist ein eine deutliche und harsche Ansage durch das Bahnpersonal über Megaphon…! Überhaupt werden die drei Minuten Einstiegszeit in Pingyao vom Personal scharf “überwacht“. Auch in den Zügen erfolgt immer eine intensive Kartenkontrolle. Mannomann...
Auch in Sachen Digitalisierung ist China ganz vorn. Das Thema ist hier sehr weit fortgeschritten, aber Smartphone-Tickets, wie in Deutschland, gibt’s hier (noch) nicht. Übrigens: Facebook, Whats App, Instagram und andere im Westen bekannte social medias sucht man in China ebenfalls vergeblich, sie sind alle abgeschaltet. Alternativ stehen den Chinesen „chinesische Lösungen“ zur Verfügung: Zum Beispiel WeChat und Alipay, die beide u.a. mit komfortablen Bezahlsystemen ausgerüstet sind. Selbst beim kleinen Obstverkäufer auf dem Fahrrad „an der Ecke“ kann damit bezahlt werden... Man kann jedoch davon ausgehen, dass nahezu alle Daten dieser Systeme auch 1:1 an die chinesischen Behörden weitergegeben werden… Wen es interessiert: Im Internet lassen sich zu WeChat und Alipay viele und interessante Informationen finden...
Der Tag in Xi’an beginnt sportlich. Im Stadtmauerpark kommen wir in den Genuss eines Tai Chi - Kurses mit Meister Lee. Was so leicht, locker, anmutig und entspannt aussieht, erweist sich bei der eigenen Übung als ziemlich anstrengend. Anschließend erfolgt ein Spaziergang entlang und auf der mächtigen Stadtmauer, die auf einer Länge von 12 km den Stadtkern umgibt. Wir besichtigen den Platz mit dem Glocken- und Trommelturm. Diese beiden Türme gibt es in vielen chinesischen Städten. Sie stammen aus alten Zeiten und dienten der Zeitbestimmung: Tagsüber mittels des Glockenturms und nachts durch den Trommelturm.
In der Nähe der Altstadt von Xi’an befindet sich auch die Große Moschee, die von der in diesem Teil Chinas häufig anzutreffenden muslimischen Hui-Minderheit frequentiert wird. Eine Insel der Ruhe und Beschaulichkeit inmitten der Millionenmetropole. Davor der Markt mit Essmeile, auf dem es auch Ziegenfüße und gegrillten Oktopus am Spiess gibt. Uns fällt auf: Was vorne Suppenküche ist, ist hinten Baustelle.
Xi’an ist die Stadt des ersten Kaisers von China, dessen Terrakotta-Armee und Bronzewagen heute mehr Besucher denn je in ihren Bann zieht.
1974 entdeckt, wurde erst nach und nach das ganze Ausmaß der riesigen Grabanlage deutlich: Mehr als 7.000 Krieger wurden bislang ausgegraben. Um diese gigantische Anlage zu sichern und begehbar zu machen, wurde eine weitere gigantische Anlage, nämlich eine riesige freitragende Halle über die Grabanlage gebaut. Auch hier wird uns wieder klar, dass die Wirklichkeit - und hat man sie noch so oft auf Bildern gesehen - doch alles in den Schatten stellt! Zur Geschichte dieser Armee gibt es keine historischen Überlieferungen. Die Tonfiguren waren ursprünglich farbig, zwischenzeitlich haben sie jedoch jegliche Farbigkeit verloren. Eine Restauration der Farbe ist zwar möglich, wäre jedoch sehr teuer und zeitaufwändig. Aktuell gibt es einen Stopp der Ausgrabungen. Auch das Kaisergrab selbst wurde noch nicht geöffnet.
Ebenfalls in Xi’an befindet sich mit der Kleinen Wildganspagode ein weiteres kulturelles Highlight Chinas. Hier hat unsere Gruppe die Möglichkeit an einem Kalligraphiekurs teilzunehmen, Was sich interessant anhört und leicht gesagt ist, ist tatsächlich schwer zu schreiben bzw. eigentlich zu malen... Aber unter Anleitung einer Meisterin ihres Fachs gelingt es abschließend doch noch recht gut.
Abends in Xi’an erleben wir quasi den chinesischen Jahreswechsel nochmal nach: Die Dekoration des letzten Neujahrsfests wurde in dieser Stadt auf Anweisung des Bürgermeisters nicht abgebaut und steht seither im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller chinesischen und nicht-chinesischen Besucher: Es ist ein Lichtspektakel in Rot. Zudem finden in der Innenstadt jeden Abend an der Großen Wildganspagode Wasserspiele statt: Auch hier ein Lichtspektakel in allen Farben.
Um die riesigen Entfernungen in diesem Land zu überbrücken, geht es nun mit dem Flugzeug weiter nach Guilin. Von dort fahren wir mit dem Bus bis zur kleinen Stadt Yangshuo, die mitten in der legendären Karstkegellandschaft liegt. Wir machen einen Stopp an einer Aussichtsplattform, von wo aus wir einen Panoramablick über die wunderschöne Landschaft haben. Unser Glück ist es heute, dass wir hier ganz allein sind… Dieses Glück ist aber mit Anstrengung erkauft: Unser Reiseveranstalter hat hier einen Punkt gewählt, der mit dem Bus nicht direkt angefahren werden kann. Wir haben daher zunächst eine abenteuerliche Fahrt mit einigen kleinen Tuk-Tuks zur Basisstation zu bestehen und laufen dann einen anstrengenden Aufstieg empor… Am Ende genießt unsere Gruppe die Exklusivität … und die (seltene) Stille.
Die Umgebung von Guilin und Yangshuo ist berühmt für die Schönheit ihrer Natur: Den Li-Fluss und die einzigartigen Karstkegelfelsen sind weltberühmt. Die Landschaft ziert die Rückseite der chinesischen 20 Yuan-Note, was ggw. etwas weniger als 3 € entspricht. Wir wandern durch die Karstkegellandschaft und wir begeben uns mit einem Bambusfloß auf den Yulong-Fluss, der mit einigen kleinen Stromschnellen versehen, eigentlich völlig ungefährlich ist. Normalerweise! Wenn nicht „unser“ Flößer bei der letzten Stromschnelle seine Steuerstange verloren hätte - wie peinlich ist das denn bitte…? So dreht sich das Floß führerlos zur Seite und wir schwimmen - so musste es ja kommen - erst ziemlich schräg und dann auch noch rückwärts den Fluss herunter… Angenehm ist das nicht. Gut das ein Kollege die Stange wieder einsammelt und unserem Bootsmann rechtzeitig übergibt, bevor Schlimmeres geschieht!
Abends erleben wir einen fakultativen Programmpunkt: Show Impressionen von Liu San Jie. Obwohl oder vielleicht weil unsere Erwartungen hier nicht so hoch waren, erweist sich die Show als grandios: Ein Bühnenspektakel mit 600 Laiendarstellern, das vor einer realen Landschaftskulisse aufgeführt wird. Der Lijiang-Fluss ist hier die Bühne für diese Traumwelt. Der berühmte Regisseur Zhang Yimou ist u.a. durch den Film „Die rote Laterne“ (1991) ja auch in unseren Landen bekannt geworden und führte u.a. Regie bei der Eröffnungs- und Abschlussfeier der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing. Ein Hochkaräter also!
Vielleicht noch interessanter für uns Europäer aber – wenngleich etwas befremdlich - ist das Verhalten der überwiegend ca. 2.000 chinesischen Besucher: Viele der Gäste kamen verspätet oder gingen verfrüht, man unterhielt sich während der Veranstaltung laut und störend und ohnehin schienen die eigenen Smartphones interessanter als die Vorstellung selbst. Beifall gab es fast gar nicht...
Was wäre eine Rundreise durch China entlang der vielen verschiedenen Landschaften ohne einen Besuch von Reisterrassen? Nach dem Frühstück geht es daher weiter nach Longsheng, dem Ort einer der wohl eindrucksvollsten Kulturleistungen in China: Die Menschen der Yao-Minderheit legten hier über Jahrhunderte grandiose Reisterrassen an und formten so die Natur spektakulär und imposant neu. Nach einer längeren Wanderung durch diese großartige Landschaft erreichen wir unser Gasthaus. Diesmal haben wir das Glück, ein riesiges Zimmer mit noch größerer Terrasse zu bekommen. Wir haben von nun an ständig ein Landschaftspanorama vor Augen, das man so schnell nicht vergessen wird. Reisterassen so weit das Auge reicht... Nur mit einem spektakulären Sonnenaufgang hat es nicht so ganz geklappt, es ist jetzt doch zunehmend zu diesig. Doch über das Wetter auf der Reise wollen wir uns nicht beschweren: Bisher gab es stets blauen Himmel und Sonnenschein. Je südlicher wir allerdings jetzt kommen, desto höher wird die Luftfeuchtigkeit, die teilweise zwischen 80 und 98 % lag.
Trotz dieses mittlerweile subtropischen Klimas begeben wir uns zu Fuß auf einen Abstieg ins Tal. Wir laufen dabei durch eine so genannte Hallo-Gasse. So werden in chinesischen Touristenzentren die Straßen mit den Souvenirständen genannt: „Hallo“ und „One Dollar“ sind die englischen Wörter, die jeder Verkaufsstandinhaber und -mitarbeiter kennen muss, wenn aus ihm was werden soll... Mit dem Bus geht es anschließend zurück nach Guilin, von wo aus wir weiter zum nächsten Ziel unserer Reise fliegen: Xiamen, eine ganz offensichtlich „Kleinere Stadt“ mit ca. 1,9 Millionen Einwohnern. Mit Umland: Nur ca. 3,5 Millionen Menschen...!
Xiamen war einer der ersten Orte, der sich ab 1842 dem Überseehandel mit dem Ausland öffnen musste - aus Sicht der Kolonialherren ein Recht, das man im Opiumkrieg erstritten hatte. Mit der Fähre fahren wir auf die autofreie Insel Gulangyu vor den Toren der Stadt. Der Fährverkehr für Touristen und Einwohner von Xiamen wird über zwei verschiedene Terminals und Fährstrecken abgewickelt und ich denke bei mir: 'Das wäre doch auch noch eine Alternative für Hamburg, wenn sich wieder mal Touristen und Einwohner über die an Wochenenden und in den Ferien- und Urlaubsmonaten völlig überfüllten HADAG-Fähren im Hafen beschweren.' Auf die chinesische Insel zogen sich einst die Europäer und Amerikaner zurück und bauten einen vornehmen Ort mit zahlreichen Villen. Dies ist auch die Insel mit der höchsten Klavierdichte, weshalb ein örtliches Pianomuseum auch folgerichtig war. Die Musikliebhaber mögen es mir verzeihen, aber der Höhepunkt des Besuchs in diesem Museum war für uns seine gut funktionierende Klimaanlage...! Zu einem Bad im Chinesischen Meer reichte dann die Zeit leider auch nicht mehr - vielleicht ein anderes Mal!
Übrigens: Die Insel ist bei Hochzeitspaaren für Fotoaufnahmen sehr beliebt. Heute heiraten die chinesischen Frauen oft in einem europäisch-typischen weißen Brautkleid, was für China eigentlich nicht klassisch ist: Traditionell wird in China aufgrund einer historischen Farb- und Zahlenkunde, deren Symbolik tief im chinesischen Volksglauben verankert ist, in Rot geheiratet. Lustig fanden wir die Frauen vor allem wegen ihrer Schlappen unter dem Kleid, die nur für den Moment des Fotos gegen die oftmals viel zu großen - vermutlich geliehenen - Pumps getauscht werden. Anziehen allerdings, ist das eine, darauf Laufen ist etwas ganz anders...
Am nächsten Tag geht es weiter nach Yongding in der Provinz Fujian. Wir besuchen die Rundhäuser der Hakka inYongding. Diese chinesische Volksgruppe entwickelte beim Häuserbau eine ganz eigene Architektur. Statt eines Dorfes mit mehreren kleinen Häusern bauten Sie große, meist runde, mehrstöckige Häuser, in denen mehrere Familien wohnten - mind. 100 Personen unter einem Dach! Somit war die fast fensterlose Hauswand zugleich Schutzmauer gegen räuberische Banden. In der Mitte des Gebäudes befand sich ein Innenhof, der Platz für den Ahnentempel und das Dorfleben bot. Wir besuchen zunächst ein Dorf mit mehreren Hakkahäusern, die der Massentourismus offenbar noch nicht erreicht hat und das uns ein noch ziemlich ursprüngliches Wohnen und Leben - allerdings auch in ziemlicher Armut - zeigt. Spätestens hier erleben wir das enorme Stadt-Land-Gefälle, das es in China nach wie vor gibt. Das wird uns besonders deutlich, als wir anschließend die touristisch aufgemöbelten Hakkahäuser im Nachbardorf besichtigen. Der Unterschied ist gewaltig.
Es folgt ein Reisetag. Wir fahren von Yondging mit dem Bus zurück nach Xiamen und fliegen von dort weiter nach Shanghai, um von dort aber zunächst wieder mit dem Bus nach Suzhou zu gelangen. In Suzhou – Stadt der Gärten, der Kanäle, der Seide - besuchen wir den pittoresken Garten des Meisters der Netze. Für einen Besuch im Garten des bescheidenen Beamten - was für mich als Beamten und Berater von öffentlichen Verwaltungen natürlich ein „Fest“ gewesen wäre - reichte dann die Zeit leider nicht mehr aus, was auch für den mindestens ebenso spannend klingenden Garten der Politik meiner Wenigkeit gilt... Das Wasserdorf Panmen, der Besuch der Seidenspinnerei Suzhou Nr. 1 Silk Facotry Co, Ltd. und ein Bummel am Jinji-See beschließen den Tag. Bilder von den spektakulären Lichtspielen am Wolkenkratzer Gate oft the Orient - 302 m hoch mit 68 Etagen - können wir leider nicht vorweisen… Nach einem kurzen Aufblitzen der Lichtanlage scheint die Steuerungsautomatik versagt zu haben und es bleibt bis auf die fest installierte Rahmenbeleuchtung leider dunkel. Die LED-Spielereien an den anderen Hochhäusern in Suzhou entschädigen aber dafür.
Auf der Fahrt von Suzhou nach Shanghai machen wir noch einen Abstecher in das Wasserdorf Zhujiajiao. Dann geht es „endlich“ weiter nach Shanghai selbst. Noch hält sich das Wetter, es ist warm, aber es wird immer diesiger. Auf der Dachterrasse des The Swatch Art Peace Hotels erleben wir einen unvergesslichen Bick auf den Bund - die berühmte Uferpromenande Shanghais - und die gegenüberliegenden gigantischen Wolkenkratzer. Die Skyline ist ja von Fotos durchaus bekannt, aber wir stehen dieser Skyline jetzt tatsächlich direkt gegenüber. Was für ein Anblick! Mit einem Cocktail in der Hand genießen wir diesen atemberaubenden Panoramablick. Vor gerademal 30 Jahren (!) schaute man von hier aus über den Huangpu River noch auf Ackerland…
Gekrönt wird der Tag am Abend mit einem Besuch der Artistenshow im Yunfeng Theatre. Spätestens seit diesem Besuch wissen wir: Es gibt keinen Gegenstand mit dem man nicht jonglieren kann und es ist unglaublich, in welche Richtungen die Artisten ihre Körper verbiegen können. Den spektakulären Abschluss bildeten 8 Motorradfahrer mit einer rasenden Fahrt in einer Stahlkugel…
Mit einem Bummel durch die Altstadt von Shanghai beginnt der nächste Tag: Hier ist alles im Wandel… Auf der einen Seite der Gasse, die wir jetzt durchlaufen, stehen noch die alten, teilweise verfallenen Häuser. Auf der anderen Seite der Straße ist schon das riesige Betonfundament für das nächste Hochhaus fertig betoniert. Dann gehen wir durch eine restaurierte Altstadt, die in unseren Augen eher einem Disneyland gleicht. Verwirrend ist für uns vor allem, dass die engen und überfüllten Gassen gleichwohl einem Basar ähneln. Die berühmte Zickzack-Brücke darf natürlich nicht fehlen… Wie es der Name schon sagt, wurde sie in Zickzack-Form gebaut. Durch diese Bauweise sollten böse Geister ferngehalten werden, die nach chinesischer Überlieferung - Feng-Shui lässt grüßen! - ja nur geradeaus gehen können… Die Geister haben hier also ein ordentliches Problem, wenn sie zum Teehaus kommen wollen.
Ein Spaziergang über den Bund und ein Besuch im futuristischen Stadtplanungsmuseum, mit einem gigantischen Modell der Stadt Shanghai, stehen als nächstes an. Das Wort „gigantisch“ kann man ja überstrapazieren, aber wenigstens hier ist es absolut gerechtfertigt, was auch Zahlen belegen: Shanghai hat aktuell etwa 24 Millionen Einwohner und besitzt den größten Hafen der Welt. Mit einem Umschlag von jährlich etwa 34 Millionen TEU (=Standardcontainer) stellt es Hamburg - auch mal ein Hafen-Schwergewicht - leicht in den Schatten: Ca. 9 Millionen TEU.
Ein tolles Erlebnis sind auch die Fahrten mit der U-Bahn in Shanghai. An jeder Station müssen alle Nutzer ihr Gepäck durchleuchten lassen. Wir erleben doppelte automatische Einlasskontrollen und schütteln den Kopf angesichts der hiesigen Klimaanlagen, die einen - bei äußerlich gerade einmal subtropischen Temperaturen – frösteln lassen. Wir nehmen mit: Chinesen lieben Klimaanlagen, vor allem, wenn diese die Räume maximal weit herunterkühlen. Und das gilt für Restaurants, Busse, Bahnhöfe, Flughäfen, Hotels, Taxis – eigentlich immer…!
Am letzten Tag vor dem Rückflug zeigt uns Shanghai sein nasses Wettergesicht: Regen und Nebel. Mit der U-Bahn fahren wir in das hypermoderne China auf der Pudong-Halbinsel zum Shanghai-Tower - 632 m hoch, 126 Stockwerke, Aussichtsmöglichkeiten auf den Etagen 118 und 119 in einer Höhe von 546 m. Der Aufzug fährt auf diese Höhe mit einer Geschwindigkeit von 18 m/Sek., benötigt also 55 Sekunden von 0 auf 546 m. Ein riesiges Erlebnis diese Fahrt… Der Ausblick selbst jedoch war es nicht: Wir blicken ausschließlich in rosafarbenen Nebel... Entschädigt werden wir mit der höchsten „Harmoniehalle“ der Welt: Pinkeln auf beheizten Sitzen...
Und dann ist unsere Zeit in China auch schon fast abgelaufen… Unser Abflugtag wartet mit einem weiteren spektakulären technischen Erlebnis auf… Die Fahrt mit dem Transrapid! Transrapid? Da war doch was! Und tatsächlich: Es ist genau diese Schwebebahn, die damals im Emsland getestet und in München von Siemens entwickelt wurde... Auf dem Weg zum Flughafen fahren wir in ihr mit einer Geschwindigkeit von 301 km/h... Die Strecke von etwa 30 km legt der Transrapid in etwa 7 – 8 Minuten zurück. Diese Geschwindigkeit kennt man ja fast schon von den heimischen ICE’s, aber die Beschleunigung von 0 auf 301 km/h in ca. 90 Sekunden ist atemberaubend. Seine Höchstgeschwindigkeit von 430 km/h darf der Transrapid in Shanghai allerdings nur noch zu bestimmten Zeiten fahren.
Erneut lassen wir am Flughafen in Shanghai diesen absoluten Kontrollwahn über uns ergehen… Wir schwören, es ist nicht nur eine doppelte und dreifache Kontrolle, sondern eher eine fünf- oder sechsfache Kontrolle… Sei es drum: Fremde Länder, fremde Sitten. Unser Rückflug vergeht im wahrsten Sinne des Wortes „wie im Fluge“, schon weil uns viel durch den Kopf geht und wir alles zu reflektieren beginnen. Beim Speisen im Flugzeug kommen zum Beispiel die Erinnerungen an das Thema Speisen in China auf – denn wenn alle Passagiere auf Langstreckenflügen so verpflegt werden, wie wir auf dem Hin- und Rückflug, dann sollte man besser darauf verzichten… Ganz anders im Land selbst: Bis auf wenige Ausnahmen waren die Speisen in den Restaurants während der Reise gut bis sehr gut. Wir hätten sicher zugenommen, wenn wir nicht jeden Tag so viel gelaufen wären... Laut Livetracker von Martina sind wir im Durchschnitt pro Tag etwa 15 – 18 km gelaufen! Da kann man sich mal eine Pekingente leisten...
Das Frühstück in China ist für Europäer (natürlich) gewöhnungsdürftig: Es gibt grundsätzlich warmes Frühstück und d.h., man erhält jene Speisen, die man auch zu Mittag und zu Abend isst. Das ist zwar zunächst komisch, nach einer gewissen Zeit aber O.K. und dann auch schmackhaft. Die Alternative in allen Gasthäusern ist Toastbrot und in den Hotels gibt es schon auch mal ein klassisches europäisches Frühstück inkl. Rührei und Speck.
Und das kulinarische Handwerkszeug der Asiaten? War vor Beginn der Reise unsere Stäbchenpraxis noch ziemlich ausbaufähig, können wir heute sagen, dass nach zwei oder drei Tagen alle Mitglieder der Reisegruppe schon gute bis sehr gute praktische Erfahrungen gesammelt hatten. Auf Gabel und Messer konnten wir demnach (fast) immer verzichten…
Zur Reflexion während des Fluges gehörte auch der Rückblick auf den Besuch der sogenannten Freundschaftsläden. Drei haben wir insgesamt besucht und deren reichhaltiges Sortiment an Perlen, Malerei und Seide bestaunt. Diese Besuche werden von den örtlichen Agenturen vorgegeben. Wir haben diese Besuche einfach als gute Gelegenheit zum Kennenlernen des chinesischen Kunsthandwerks betrachtet und den Zwang dahinter akzeptiert. Schließlich waren sie immer gut klimatisiert…
Nach etwa 12 Stunden Flugzeit landen wir pünktlich in Frankfurt, so pünktlich, dass wir einen Zug früher als geplant erreichen. Wir müssen dazu jedoch mit dem Regionalexpress von Frankfurt nach Fulda fahren. Der Zug war brechend voll mit feiernden Fans von Eintracht Frankfurt, die gerade von der Pokalsiegesfeier auf dem Römer kamen und ordentlich in Stimmung waren... 'Gut', denken wir, 'dass wir uns in den letzten Wochen den Umgang mit Menschen in großen Massen antrainiert haben, da können uns „so ein paar Frankfurter“ auch nichts mehr anhaben…'
Unser Fazit jedenfalls ist auch nach ein paar Tagen der Besinnung zu Hause einmütig: Es war eine tolle Reise und es war nicht unsere letzte Reise nach China. Wenn man den Wunsch verspürt noch einmal zurückzukehren, hat man wirklich etwas von sich selbst dort zurückgelassen. Die Bilder im Kopf von Martina und mir und die damit verbundenen Emotionen werden für immer bleiben...
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Dieser Beitrag gibt die subjektive Sicht von Reinhard Helle wieder. Er verantwortet als Autor die Inhalte wie die Bilder. Darüber hinaus ist jegliche vermeintliche Werbung in diesem Beitrag unbezahlt und keineswegs kommerziell intendiert.
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