Mit der MS Otto Sverdrup von Hamburg zum Nordkap
von Reinhard Helle, Hamburg den 20.02.2022
"Det er ingen skam å snu."
"Es ist keine Schande, umzukehren."
Norwegisches Sprichwort
Teil 1 des Reiseberichts vorweg schnell noch lesen? Verlinkt Euch hier...
Erste Erkundungen an Bord
Geschafft! Wir sind an Bord der MS Otto Sverdrup. Beinahe haben wir zuletzt - trotz allen Hoffens und Bangens - kaum noch dran geglaubt, denn weitere Schiffe - wir lesen es in den sozialen Medien allenthalben - müssen wegen Omikron ihre Reise auf hoher See beenden... Unser PCR-Test allerdings - und mit uns offenbar auch die Tests aller anderen Reisenden unseres Schiffes - ist "negativ". Ende gut - alles gut? Von wegen: Noch kurz bevor wir das Schiff endgültig betreten ein persönlicher Schockmoment: Martina ist ein Stück eines Zahns abgebrochen. "Ausgerechnet jetzt - das darf doch nicht wahr sein...!" Zum Glück erweist sich schnell: Es ist ein Stück, das derweil keine Schmerzen verursacht... "Glück im Unglück!", sagt man da wohl.
Doch jetzt haben wir unsere Kabine belegt: Kabinennummer "Five, Two, Three"! Wir werden die Kabinennummer in den nächsten 2 Wochen unzählige Male aufsagen müssen, sie ist unser Erkennungszeichen an Bord - unsere neue Identität auf See -, nicht unsere Namen... Unsere Kabine selbst ist ein Wunder an Aufteilung und optimaler Nutzung für Koffer, Kleidung und Ausrüstung. Platz sparen ist das Motto, nicht Luxus pur! Wir genießen in den kommenden Tagen eine Außenkabine ohne Balkon, mit einem großen Fenster.
Mit einer Verspätung von fast 45 Minuten legen wir vom Kreuzfahrtterminal in Altona ab. Es ist - nach dem herrlichen Sonnenuntergang - nun sukzessive dunkel geworden. Der Hafen Hamburg und die Containerterminals sind hell erleuchtet. Wir passieren auf der Steuerbordseite (rechts des Schiffes) die Häuserfront von Blankenese und auf der Backbordseite (links des Schiffes) die Fertigungshalle von Airbus und werden alsbald zum Abendessen gebeten. Dieses nehmen wir im Restaurant an einem Tisch ein, der direkt am Heck des Schiffes liegt. Wir blicken quasi beim Speisen von oben direkt auf die sich hinter dem Schiff herziehende Heckwelle und beobachten so quasi jeden Meter live, den sich das Schiff von Hamburg entfernt...
Cuxhaven - Stein des Anstoßes für einige Nachfragen...
Unser erstes Ziel ist Cuxhaven. Bis Cuxhaven benötigen wir ca. 4 Stunden Fahrt. Ein erster Stopp mit einer ersten Planänderung wird angekündigt: Leider kann die Crew den vorgesehenen Besuch der Auswandererhallen inklusive der Begrüßung durch einen Shanty-Chor nicht möglich machen. Offizieller Grund: Die verspätete Abfahrt aus Hamburg und ein strammer Gegenwind, der den Zeitplan durcheinandergebracht hat... Anlegen tun wir dennoch: Der Aufenthalt von ca. einer Stunde wird jedoch lediglich als sog. technischer Stopp deklariert (was immer das auch bedeutet) und niemand darf während der Anlegezeit das Schiff verlassen...
Im Vorfeld der Reise hatten wir uns schon gefragt: Wieso läuft das Schiff bereits nach einer so kurzen Fahrtzeit einen Hafen an? Unsere Neugierde war geweckt und das Rechercheergebnis ließ ein Geschmäckle zurück, einen leicht moralischen Beigeschmack angesichts des Ergebnisses: Nach norwegischem Recht nämlich, kann ein norwegisches Kreuzfahrtschiff, das außerhalb der norwegischen Gewässer mindestens zwei Häfen anläuft, ausländische Besatzungsmitglieder nach internationalen Tarifen bezahlen. Mit dem Zwischenstopp des Kreuzfahrtschiffs MS Otto Sverdrup in Cuxhaven könnte also die Reederei, nach Informationen des NDR Niedersachsen, Niedriglöhne für einen Großteil der Schiffsbesatzung zahlen. Hurtigruten Expeditions allerdings widerspricht diesem Vorwurf vehement. Nach Angaben des Unternehmens war Cuxhaven schon seit jeher ein fester Bestandteil der stark nachgefragten Reiseroute und daher auch jetzt Teil des Plans. Nun gut - wir kennen die Löhne der Besatzung nicht und lassen das hier einfach mal so stehen...
Zunächst die zwei großen O: Organisation und Orientierung
Auf dem ersten Teil der Strecke gibt es zunächst viele Routinen an Bord: Begrüßungsgetränk mit dem Kapitän und der Führungscrew des Schiffes, Sicherheitseinweisung, Buchung von möglichen Landausflügen, Hurtigruten-App downloaden, die verschiedenen Stationen auf dem Schiff kennenlernen, rote Regenjacke von Hurtigruten und Spikes für die Schuhe in Empfang nehmen. Und immer wiederholen: "Backbord ist links und Steuerbord ist rechts!" Wir werden das nie wieder vergessen - wussten es aber auch schon vorab...!"
Bevor wir aber an diesem ersten Abend ins Bett fallen, sitzen wir in der großen Bar auf Deck 8 und blicken in die Dunkelheit. Panoramafenster erlauben von hier sonst einen fantastischen Rundum-Ausblick. Vor uns liegt eine Fahrt von ca. 3.000 Seemeilen. 1 Seemeile entspricht einem Umrechnungs-faktor von 1,85201 km - es liegen demnach ca. 5.500 km vor uns. Beginnend in Hamburg, das zwischen dem 53. und 54. Breitengrad liegt, machen wir uns auf zu unserem Ziel - dem Nordkap -, das am 71. Breitengrad liegt. Der Abstand zwischen zwei Breitengraden beträgt übrigens konstant 111 km.
Eine Seefahrt die ist lustig - und macht gelegentlich seekrank...
Der nächste Tag ist ein so genannter Seetag. Wir legen den gesamten Tag lang in keinem Hafen an und stellen fest: So ein relativ langsam fahrendes Schiff (max. 14 – 15 Knoten; auch hier beträgt der Umrechnungsfaktor für km/h 1,85201 - wir sind also mit knapp weniger als 30 km/h unterwegs) entschleunigt sehr: Wir lesen viel, speisen, ruhen uns aus. Wir schlafen, atmen tief durch und schalten vom Alltag ab. Wir umrunden auf Deck 5 einmal komplett das Schiff, tanken bei teilweise wolkenlosem Himmel Sonne und lassen uns den leichten Wind um die Ohren wehen. Und wir lernen schon am ersten kompletten Tag unserer Reise auf See: Selbst bei leichtem Wellengang muss sich mancher Magen an das wogende Dasein erst einmal gewöhnen, wie mancher Wanderer in den Bergen an die Höhe: Martina spürt und taxiert ihre Magengrube und fühlt sich leider etwas seekrank...
Überraschung am Abend: Der Barchef auf Deck 8 verkündet: „Freie Getränke für alle!" Und das ohne jegliche Begrenzung! Als offizieller Grund wird das als Entschädigung für den ausgefallenen Stopp in Cuxhaven deklariert, quasi Alkohol statt Shanty-Chor...
Selbstredend verlassen wir (fast) als letzte Gäste die Bar und gehen in dieser Nacht - bei stets vorhandenen, aber angenehm monotonen Geräuschen unserer Klimaanlage sowie den Wellen und Winden des Atlantik - sanft und zufrieden in den Schlaf über... Warum erwähnen wir das hier eigens? In der zweiten Nacht werden wir gegen Mitternacht von einem lauten Geräusch geweckt. Rotorengeräusche - man spricht auch vom typischen Teppich-klopferphänomen eines Helikopters! Ein Hubschrauber über unserem Schiff? Das ist bei dem jetzt zunehmend starken Wind und noch dazu um diese Uhrzeit mindestens überraschend. Kann das sein? Es kann: Wir erfahren am nächsten Morgen im Gespräch mit anderen Passagieren, dass gut eine halbe Stunde lang tatsächlich ein Hubschrauber direkt über unserem Schiff "in der Luft stand". Über die näheren Umstände gibt es keine Informationen. Die Gerüchteküche brodelt. Wir vermuten "einen Notfalleinsatz, vielleicht der Grenzschutz?", erhalten aber keine weiteren Informationen...
Von Coronazeiten und dem ersten Landgang
Die Coronaregeln an Bord sind übrigens sehr erträglich. Masken sind überall da verpflichtend, wo kein Abstand eingehalten werden kann, beispielsweise im Inneren des Schiffes auf den Treppen, in den Kabinengängen, in den Vortragsräumen und in den Restaurants auf den Wegen zu den Tischen. Coronabedingt sind ja nur etwa 300 Passagiere an Bord und damit deutlich weniger als die bereits erwähnte maximale Kapazität des Schiffes von ca. 550 Passagieren. Im großen Restaurant ist alles ziemlich aufgelockert: 4er-Tische für 2 Personen, 6er-Tische für 4 Personen, mittags und abends kein Büfett und keine freie Platzwahl. Für das Frühstück werden die einzelnen Speisen in kleinen Schälchen zur Verfügung gestellt. Vor jedem Betreten der Restaurants wird die Temperatur jedes einzelnen Gastes kontrolliert und es besteht eine Hände-Waschen-Verpflichtung. Man kann also sagen, dass unsere Sicherheits-Erwartungen an Bord des Schiffes in diesen Tagen erfüllt wurden.
Heute nun, nach einem Tag und einer Nacht auf See, erreichen wir erstmals wieder Land: Unsere erste Station heißt Stavanger und liegt am 58. Breitengrad. Norwegens viertgrößte Stadt befindet sich im so genannten Byfjord. Um sie und das zeitgemäße Anlanden nicht zu verschlafen hatten wir zwar unseren Handywecker gestellt, mussten jedoch schlaftrunken feststellen, dass Hurtigruten und die Besatzung der MS Otto Sverdrup auch dieses Geschäft professionell erledigt haben: Direkt neben unserem Fenster befand sich an der Außenwand ein knallroter Wasserhahn, an dessen Ende die Crew frühmorgens bereits den Schlauch für die Deckreinigung anzuschließen gedachte... Es ist gerade einmal 6 Uhr morgens...
In Worten: S E C H S U H R am Morgen! Wir machen hier doch Urlaub...!
Ein erster Blick geht auf die mitgeführten digitalen Geräte. Die WLAN-Verbindung hat sich wieder deutlich verbessert. Gestern auf hoher See war diese doch etwas „schwach auf der Brust“. Wir haben 3 Stunden Zeit, um Stavanger im Nieselregen zu erkunden. Auf unserem Programm, wir schließen uns einer geführten Gruppe an, steht ein Besuch der sehenswerten Altstadt und des Norwegischen Ölmuseums. Letzteres entpuppt sich als ein modernes architektonisches Highlight, das an eine kleine Bohrplattform erinnert, die man sich wiederum in genau diesem diesigen Nordseewetter vorstellt... Inhaltlich bietet es Informationen und Erlebnisse rund um das Erdöl. Wir lernen, dass und wie das Ölgeschäft zu Norwegens wichtigster Industrie geworden ist und wissen doch auch, dass es kaum eine Zukunft hat... Vom "Schwarzen Gold" geht es direkt in die historische "weiße" Altstadt. Sie beherbergt ein hervorragend erhaltenes Holzhaus-Viertel mit 170 weiß gestrichenen Gebäuden aus dem 17. Jahrhundert, Kopfsteinpflasteratmosphäre, schöne Streetart und sehr viel Ruhe...
Unser persönliches Fazit des ersten Landausflugs: Wenn es eben möglich sein wird, werden wir diese städtischen Exkursionen in eigener Regie unternehmen und uns nicht den Gruppenausflügen anschließen. Wie auch immer war es schön mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben...
Furchterregende Aussichten und eine Prohibition zur falschen Zeit
Am Abend dann - längst zurück auf der Otto Sverdrup - informierte uns der Kapitän über einen "kleinen Wetterumschwung", der es in sich haben sollte: Es liege eine Sturmwarnung für den nächsten Tag vor.
Wir sollen bitte etwa zwischen 10.30 Uhr und 12.30 Uhr in den Kabinen bleiben und alle losen Gegenstände in den Kabinen sicher verstauen oder festzurren. Erwartet werden die Auswirkungen schwerer Atlantikstürme, die bis zur norwegischen Küste reichen und Windstärken von 7 bis 9 auf der Beaufortskala erreichen können. Unsere Ankunftszeit in Ålesund könne deshalb "noch nicht vorhergesagt werden, da das hier draußen", so erläutert unser Kapitän, "schnell mal Wellenhöhen von 8 bis 14 Metern bedeuten kann...!" - Wie bitte? Wie war das? 14 Meter hohe Wellen? Oookaaay...
Eine unserer bleibenden Erinnerungen an Bord werden diese abendlichen Überraschungen sein. Gerade gehen uns noch all die Dinge durch den Kopf, die in unserer Vorstellung unfassbare 14 Meter hoch sind, als wir uns - hiervon leicht schwindelig - ein wenig Mut in der Bar antrinken wollen... Dann diese Ankündigung: "Leider dürfen wir auf dem gesamten Schiff heute keinen Alkohol mehr ausschenken!" Hintergrund ist die noch bis zum 13.01.2022 gültige norwegische Corona-Verordnung, die in Restaurants und Bars einen Alkoholausschank verbietet. Da wir uns auf einem norwegischen Schiff befinden und zudem jetzt auch in norwegischen Hoheitsgewässern befinden, gilt diese Verordnung selbstverständlich auch für die MS Otto Sverdrup.
Diese Prohibitions-Verordnung gilt wohl seit dem 13.12.2021, war bisher aber nicht zu uns durchgedrungen... Wir fragen uns, welche Auswirkungen das wohl auf die Weihnachts- und Silvestertour des Schiffes gehabt haben mag? Wahrscheinlich eine „tolle“ Stimmung... Gott sei Dank befindet sich in unserer Minibar seit Tagen eine Flasche Rotwein, die wir an diesem Abend köpfen. Der Ausschank ist ja nur in öffentlichen Restaurants und Bars verboten, nicht in unserer Kabine. Der Preis für die Flasche ist zwar
heiß! Aber gerade noch so eben vertretbar, wenn man den "medizinischen Wert" des Tropfens bedenkt, angesichts des Wellenschocks... Wir trinken uns die "Ruhe vor dem Sturm" einfach an...
Wie versteckt man sich vor haushohen Wellen?
Am nächsten Morgen - die Nacht verlief weitgehend ruhig und wir warten gespannt auf die angekündigte stürmische See - fahren wir anlässlich eines technischen Stopps in den Küstenhafen von Måløy ein und reiben uns die Augen, denn dieser Stopp war keineswegs vorgesehen. Er liegt auch gar nicht auf der vorausgesagten Route!? Ein Landgang ist hier nicht vorgesehen, kein Passagier darf das Schiff verlassen. Wir warten hier offenbar den Sturm ab, der auf dem offenen Atlantik (Backbord Atlantik, Steuerbord Küste) zu wüten scheint, hier in den Fjorden jedoch kaum merklich ist. Wir
verfolgen die genaue Route unseres Schiffes über die App „Marine Tracker“ und können nun gut nachverfolgen, warum wir eine andere Route genommen haben. Der Kapitän ist mit dem Schiff wohlweislich durch die windgeschützten Schären „geschlichen“...
Auf der Weiterfahrt nach Ålesund trifft uns der Sturm nun zwar immer noch heftig, als wir uns dem offenen Meer ohne schützende Landmasse aussetzen, aber nicht mehr mit voller Wucht. Unsere kleine Versteckfahrt hat uns den schlimmsten Teil des Sturmes erspart. Über eine raue und stürmische See erreichen wir schließlich mit Verspätung irgendwann Ålesund.
Ålesund am 62. Breitengrad gilt als eine der schönsten Städte des Landes. Ihre reich verzierten, einzigartigen Jugendstilbauten machen den Ort zu einem wundervollen Unikat in Norwegen. Leider aber bleiben uns hier nurmehr 4 statt der geplanten 6 Stunden Aufenthalt und es nieselt in einem fort... Die Sicht ist nicht besonders gut, weshalb wir an der jetzt - wie in allen anderen Häfen auch - angebotenen Wanderung heute nicht teilnehmen wollen. Hinzu kommt, dass sich einige Anlegestellen der MS Otto Sverdrup in außenliegenden Gewerbegebieten befinden. D. h., die Fußwege zum Schiff sind lang und nicht immer allzu "prickelnd"...
Die Tage auf hoher See...
Auch während der Reise gibt es an Bord oder außerhalb immer wieder Neues zu entdecken. Manches ist alltäglich, anderes spektakulär - langweilig ist es jedenfalls selten. So ist z.B. der Schiffsmaler fast jeden Tag unterwegs, um kleine rostige Stellen mit Farbe zu überpinseln. Das Wetter spielt für seine Arbeit keine Rolle und so ist er auch heute, trotz der Nässe und des Sprühregens unterwegs.
Natürlich gibt es Interessantes nicht nur an Bord, sondern auch entlang der Strecke zu sehen. So entdecken wir auf der Fahrt zum nächsten Hafen den Berg Torghatten - der sprichwörtliche "Berg mit dem Loch". Wir blicken auf einen steinernen Koloss mit einem großen Loch, durch das man durch den Berg hindurchsehen kann: Etwa 100 m über dem Meeresspiegel setzt es an: Es ist ca. 35 m hoch, 15 - 20 m breit und misst eine Länge bzw. Tiefe von 169 m. Gäbe es blauen Himmel, wir würden die andere Seite als blauen Punkt erkennen können...
Winter in Norwegen: Regen, Schnee und Sturm - aber in der Waagerechten...
Die kleine Stadt Brønnøysund am 65. Breitengrad, unser nächster Zielhafen, liegt genau in der Mitte Norwegens. Von hier aus sind es 840 km bis zur Nordspitze und 840 km bis zur Südspitze Norwegens. In der Steinkirche im neugotischen Stil von 1870 hören wir ein tolles Orgelkonzert, während draußen das Wetter immer unangenehmer wird... Es regnet kalte Bindfäden und stürmt ununterbrochen, so dass die Formel sich so beschreiben ließe: Regen + Sturm = waagerechter Regen. Für Besichtigungstrips ist das nun wirklich nicht so schön, weder an Bord auf Deck, noch an Land...
Somit ist es gut, dass sich an Bord die Wolken lichten: Es herrscht heute Abend wieder ein großes „Hallo“, denn ab sofort darf wieder Alkohol ausgeschenkt werden! Die norwegische Coronaverordnung wurde aufgehoben, was neben den Gästen an Bord vor allem auch die Crew auf dem Schiff in den Restaurants und Bars erleichtern dürfte. Es gab über das Alkoholverbot nämlich keine zentrale Information, weshalb die Mitarbeitenden in Bars und Restaurants den gesamten Stress mit einigen Passagieren aushalten mussten - wir waren es übrigens nicht, die gestresst haben... Zum Stichwort „Personal“ kann man an dieser Stelle sagen: Uneingeschränktes Lob für alle Schiffs-Mitarbeiter*innen. Jederzeit sehr freundlich und absolut dienstleistungsorientiert.
Die Lofoten kündigen sich an
Auch heute erhalten wir des Abends die Informationen für den nächsten Tag: Geplant ist der Besuch eines norwegischen Fischerdorfes im Dörfchen Å, dem Endpunkt der Lofotenstraße. Soweit Plan A. Es wird aber schon darüber informiert, dass wegen des schlechten Wetters voraussichtlich Plan B in Kraft tritt: Anlegen und Aufenthalt im zentralen Fischereihafen Svolvær, der wohl bedeutendste Handelsort der Lofoten. Tatsächlich tritt aber dann am kommenden Tag Plan C in Kraft: Anlegen und Aufenthalt in Harstad am 68. Breitengrad auf der Insel Hinnøya am Vågsfjord.
Ein wenig wundern wir uns über über die Informationspolitik an Bord - wir fühlen uns ein wenig an der Nase herumgeführt und bekommen die ein oder andere Nachricht immer nur häppchenweise... Nach unserem Schiffstracker war schon gestern Abend klar, dass wir nach Harstad fahren - also Plan C. Offiziell wurde dies jedoch erst am nächsten Morgen bekanntgegeben. Offenbar war es der Crew irgendwie unangenehm die Wahrheiten über Wetterlage und verhagelte Routenpläne an uns durchzustellen. Dabei konnte doch jeder sehen, was da draußen los war... Stattdessen gibt es Informationen und Aufklärung wie diese: Ist der Unterschied zwischen Stockfisch und Klippfisch bekannt? Ganz einfach: Stockfisch ist nur luftgetrocknet und Klippfisch ist luftgetrocknet und gesalzen. Oder: Sind Dorsch und Kabeljau tatsächlich das gleiche? Als Dorsche werden die Jungfische bezeichnet. Wenn der Fisch bereits älter, laich- bzw. geschlechtsreif ist (also nach 3 Jahren) wird er zum Kabeljau. Im Winter gefangener Kabeljau im Bereich der Lofoten wird dann aber zum Skrei. Alles klar?
Wir erreichen die Lofoten und sehen immer weniger Tageslicht
Der Sturm hält unvermindert an, der Regen ist inzwischen in Schnee übergegangen - und ich meine richtigen Schnee: Viel Schnee! Sie wissen schon: Waagerecht schneienden Schnee: Viel Schnee + viel Sturm = viel waagerechter Schnee. Der Aufenthalt in Harstad, dem Tor zu den Lofoten, reicht daher höchstens für einen kurzen Besuch. Wir besichtigen die besterhaltene mittelalterliche Kirche Nordnorwegens, die Trondenes-Kirche, die aber leider, wie die meisten Kirchen Norwegens auch, heute geschlossen ist... Der geplante Rest des Programms, der Besuch einer Halbinsel mit einem Teil des Atlantikwalls kann aufgrund der Wetterkapriolen erkennbar nicht stattfinden, wäre aber auch sonst wohl geplatzt: Es heißt: "Im Winter geschlossen!" Damit entfällt auch eine Besichtigung einer ehemaligen deutschen Großkanone, die im norwegischen Sprachgebrauch auch heute dort noch „Adolfkanone“ genannt wird...
Der Sonnenaufgang in Harstad war heute um 10.44 Uhr, der Sonnenuntergang bereits um 13.23 Uhr. Wir nähern uns immer mehr der durchgehenden Polarnacht. Eine für uns völlig neue Erfahrung. Wir freuen uns auf Polarlichter... Wir befinden uns jetzt schon 250 km nördlich des Polarkreises (66o 33‘ 55'' nördlicher Breite). Es schneit und schneit und schneit…! Na klar: Hier ist Polarnacht und tiefster Winter... Auch auf das Schiff hat das natürlich Auswirkungen, wir sind zwar weitgehend autark, aber nicht gänzlich unbeeinflusst vom Wetter da draußen: Deshalb ist auf Deck 7 selbstverständlich auch kein Wasser im Swimmingpool - wer hätte bei dem Schneetreiben auch Lust auf ein Bad im kühlenden Nass? Wer dennoch in Badehose aufs Deck spazieren möchte, der kann ja einen der beiden Warmwasser-Whirlpools nutzen... Sie sind in Betrieb.
Das nächste Ziel Alta - wir versinken in Schnee...
Unser kommendes Ziel ist plangemäß Alta - und alles deutet darauf hin, dass wir es auch ansteuern werden. Auf der Fahrt zu diesem Hafen sichten wir nun erste Meereseisstücke. Bevor wir von Bord gehen können, müssen sich alle Passagiere an Bord ab 09.30 Uhr einem Corona-Schnelltest unterziehen. Angesichts zahlreicher Coronafälle auf Schiffen ist das natürlich immer eine spannende Sache: Doch wir können aufatmen als das positive Ergebnis bekanntgegeben wird: Alle negativ! Wir fragen uns, wie es wohl abgelaufen wäre, wenn das nicht so gewesen wäre...?
In Alta, am 70. Breitengrad gelegen, soll wieder das angekündigte Reiseprogramm möglich sein. Die nächtliche Fahrt dorthin haben wir zeitweise dick eingepackt auf dem vereisten Außendeck verbracht. Vollmond und Wolken haben ein irres Lichtspektakel als Spiegelungen auf dem Wasser veranstaltet und wenn wir auch noch keine Polarlichter zu sehen bekommen haben, so war dieses Schauspiel doch ein guter erster Ersatz... Unwirtliche Kälte, Sturm und immer wieder das Aufreißen der Wolken begleiten uns unaufhörlich. Monoton zieht unser Schiff seinem Weg im Meer... Immer wieder kommen mir jetzt Bilder aus alten Filmen in Erinnerung: Atlantik-Filmszenen aus „Das Boot“ schießen mir durch den Kopf...
In Alta angekommen - Sonnenaufgang ist in Alta um 11.09 Uhr; Sonnenuntergang um 12.06 Uhr - versinken wir beinahe in Schnee. Alles weiß, so haben wir es in Hamburg im Winter schon lange nicht mehr gesehen... Wir fahren mit einem Shuttlebus zur berühmten Nordlichtkathedrale. Nach dem Ölmuseum in Stavanger der zweite architektonische Höhepunkt unserer Reise. Sie wurde von 2011 bis 2013 nach Plänen von Kolbjørn Jenssen in Zusammenarbeit mit Schmidt, Hammer und Lassen Architects, Århus, erbaut. Sie soll mit ihrem spiralförmigen, 47 m in den Himmel ragenden Kirchturm gebaut worden sein, um den Nordlichtern näher zu sein. Schließlich gilt Alta als die Stadt des Nordlichts. Aber wo? Wo sind sie nur?
Den Polarlichtern so nah und doch so fern
Die Kirche jedenfalls ist vollständig aus Beton gebaut und außen mit ca. 40.000 Titanplatten verkleidet. Auch das Innere der Kirche ist ganz in Beton gestaltet. Holzdetails, Stühle und der Fußboden sind aus massiver Eiche. Die Innenwände der Kirche wurden mit insgesamt 800 Metern vertikalen Leisten verkleidet, die durch den Einbau von Dioden beleuchtet werden können. Eine goldene Jakobsleiter hängt im 7,5 Meter hohen Innenturm. Wir sind begeistert! Wenn es für „beeindruckend“ eine Steigerung gibt, für dieses Bauwerk scheint sie uns angebracht. Wenn ihre sprichwörtliche Nähe zu den Polarlichtern jetzt noch Wirklichkeit werden würde - wir würden es machen und vielleicht sogar die Leiter emporsteigen...
Alta entstand im Mittelalter als eine kleine samische Siedlung und hat sich in den nachfolgenden 500 Jahren zu einer kleinen, mittlerweile aber sogar der größten Stadt in diesem Teil Norwegens entwickelt. Die Verwurzelung in der Sami-Kultur ist in der Bevölkerung noch immer sehr verbreitet und ab und an können wir auf der Straße die Menschen samisch sprechen hören. Wir verzichten für den Rückweg zum Schiff nämlich auf den obligatorischen Shuttlebus und wollen ein paar Eindrücke aus diesem so weit nördlich gelegenen Städtchen mitnehmen. Wir gehen zu Fuß durch die Stadt, hoffen auf ein paar offene Wolkenlücken und das Flimmern der Lichter der Aurora Borealis. Stattdessen aber geraten wir in einen Schneesturm. Und bitte: Ich meine Schnee! Nicht nur viel Schnee, sondern ganz viel Schnee und noch ordentlich Wind dazu. Was hätten wir eigentlich ohne digitalen und analogen Stadtplan in dieser Wetterküche gemacht? Letztendlich schaffen wir es zurück auf die MS Otto Sverdrup. Wir sind von den Wetterkapriolen und dem Gedanken daran, wie Menschen hier hunderte von Jahren ohne feste Behausungen haben leben können, fasziniert und gerade sehr froh, uns in dieses Stück schwimmende Zivilisation zurückziehen zu können...
Enttäuschung pur: Das Wetter verhindert unsere Fahrt zum Nordkap
Ein ereignisreicher und spannender Tag geht zu Ende, leider bereitet der Abend eine riesige Enttäuschung für uns vor: Die Crew informiert uns darüber, dass es an den kommenden Tagen keinen Besuch des Nordkaps geben kann und geben wird. Aufgrund der aktuell vorherrschenden Wetter-bedingungen sei die Straße von Honningsvåg, die als einzige zum Nordkap führt, von den norwegischen Behörden gesperrt worden. Die geplante Busfahrt von etwa 35 Minuten wäre auch dann nicht möglich, wenn man vor den Buskonvoi ein oder mehrere Schneepflüge gesetzt hätte. Sie würden die Massen an Schnee und Eis wohl nicht bewältigen... Unsere Reise zum Nordkap ist demnach hier - vorerst - zu Ende: Wir kapitulieren vor dem Schnee, ja wir müssen uns - aller Technik und Vorfreude zum Trotz - der Natur beugen. So ist das eben hier draußen...
Die Enttäuschung ist schon mächtig und sie steigert sich nochmal, als wir aus Presseberichten erfahren, dass ausgerechnet an der Ostseeküste bei Rügen und später auch an der Nordseeküste auf Sylt tatsächlich Nordlichter gesichtet worden sind... Kann das wahr sein? So ein Mist! Da hätten wir ja gar nicht so weit fahren müssen...
Die Chancen auf eine Sichtung von Nordlichtern hier kurz vor dem nördlichsten Punkt des norwegischen Festlandes jedenfalls tendieren gegen Null. Dafür ist die Wolkendecke jetzt seit Tagen zu dicht, ist der Himmel insgesamt vor all dem Schnee ja überhaupt nicht sichtbar... Auch die Teilnehmer*innen des Ausflugs an der sog. „Nordlichtjagd“ kamen nach etwa 4 Stunden erfolglos und enttäuscht zurück. Aber was soll's: Wir trösten uns damit, dass sie da oben irgendwo sein müssen, auch wenn wir sie nicht zu Gesicht bekommen...
Einer geht noch - Bis zum 71. Breitengrad sind wir gekommen
Die Expeditionscrew hat sich sehr bemüht und zahlreiche Alternativen geschaffen, die das Verpassen des Nordkaps zumindest ein wenig vergessen machen konnten. Sie schuf Möglichkeiten auf der MS Otto Sverdrup und an Land... Unser nächstes Ziel war Honningsvåg am 71. Breitengrad.
Wir schlossen uns der Reisegruppe außerhalb des Schiffes an und wurden mit einem Shuttlebus zur Destinasjon 71° Nord gefahren und haben den 71. Breitengrad betreten! Auch wenn das das Nordkap nicht ersetzte, haben wir viel über die hiesige Land-, äh, Meereswirtschaft und Königskrabben erfahren und uns an den schmackhaften Meeresbewohnern auch kulinarisch unschädlich gehalten...
Einige ältere Damen waren wirklich so schwer begeistert, dass der Ausfall des Nordkaps für sie beinahe als Glücksfall galt. Später erfuhren wir allerdings auch, dass sie schon alle mindestens einmal am Nordkap gewesen sind und der Ausfall des ursprünglichen Ziels für sie daher auch nicht so schwer gewogen hat...
Aber man muss auch ehrlich sein: Als wir im Hafen von Honningsvåg ankamen, da musste auch dem Letzten klar werden, in welcher Wettersituation wir uns befanden. Schnee und Sturm hatten nochmal an Fahrt aufgenommen und uns war jetzt sehr bewusst und sehr deutlich, warum eine Fahrt zum Nordkap einfach nicht möglich war. Was allerdings für uns völlig verständlich war, galt keineswegs für alle Passagiere...
Um 18.30 Uhr verlässt die MS Otto Sverdrup den 71. Breitengrad und nimmt Kurs in Richtung Süden. Die sog. Südfahrt beginnt. Unsere Reise ist hier also keineswegs beendet: Es ist ja erst Halbzeit! Noch folgt die gesamte Strecke zurück und völlig andere Ziele. Zunächst freuen wir uns auf Tromsø und haben weiterhin Hoffnung, dass sich das Wetter nochmal bessert. Vielleicht bekommen wir in Teil 3 unserer Reise ja doch nochmal Polarlichter zu Gesicht...?
Und das sind die Stichworte für den Teil 3 dieses Reiseberichtes:
+++ Die Rückfahrt nach Hamburg mit Aufenthalten in Tromsø, Narvik, Kristiansund und Bergen +++ Endlich Aurora Borealis (Nordlicht)? +++ Schiffe, Schiffe, Schiffe +++ Inkludierte und optionale Ausflüge +++ Fahrt mit dem Arctic Train +++ Besuch der Magic Ice Bar +++ Verpflegung an Bord +++ Und was macht eigentlich Corona in Hamburg? +++
Adjø! - Tschüss!
Hier die Fortsetzung (Teil 3) des Reiseberichts lesen...
Unsere Literaturempfehlungen
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Links zur Reisevorbereitung:
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11 wichtige Begriffe (deutsch – norwegisch)
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Dieser Beitrag gibt die subjektive Sicht von Reinhard Helle wieder. Er verantwortet als Autor die Inhalte wie die Bilder. Alle in diesem Bericht genannten Literaturhinweise sind darüber hinaus die persönlichen, also subjektiven Empfehlungen von Reinhard Helle und stehen nicht mit Werbehonoraren o. ä. in Verbindung. Des Weiteren ist jegliche vermeintliche Werbung in diesem Beitrag unbezahlt und keineswegs kommerziell intendiert.
Spurenwechsler danken Reinhard Helle für den Beitrag!
Natürlich freut sich Reinhard Helle über Fragen, Kommentare und Rückmeldungen, die wir ihm gern weiterleiten...